Die Mellah von Marrakesch – das jüdische Viertel
Die Mellah von Marrakesch bietet einen tiefgreifenden Einblick in eine jahrhundertealte Geschichte jüdischen Lebens in der Stadt. Diese Seite beleuchtet die Ursprünge der Mellah als einstmals geschütztes Handelszentrum und ihre heutige Bedeutung als Zeugnis einer reichen, doch schwindenden Kultur.
In vielen Städten des historischen Marokkos wurden jüdische Gemeinden in eigenen, ummauerten Stadtteilen untergebracht – den sogenannten Mellahs. Dieses Modell spiegelt das klassische Prinzip der islamischen Stadt wider, in der muslimische Wohn- und Geschäftsviertel von nicht-islamischen Einflüssen abgegrenzt wurden. Die erste Mellah entstand Anfang des 15. Jahrhunderts in Fès, gefolgt von weiteren in Städten wie Marrakesch, Meknès und Essaouira.
Die Mellah war jedoch nie ein reines Ghetto im europäischen Sinn. Zwar lebten hier überwiegend Juden, doch das Viertel war stets offen für Handel und Austausch mit Muslimen und anderen Minderheiten. Die Mellahs waren oft wirtschaftlich bedeutend und beherbergten Synagogen, Märkte, Bäder und einen eigenen Friedhof.
Inhalt
Die Mellah von Marrakesch: Geschichte und Struktur
Die Mellah von Marrakesch wurde Mitte des 16. Jahrhunderts südlich des heutigen Bahia-Palasts auf dem Gelände ehemaliger königlicher Stallungen gegründet. Die gesamte jüdische Bevölkerung der Stadt musste damals in das neue Viertel umsiedeln. Ein abschließbares Tor verband die Mellah mit der benachbarten Kasbah und bot Schutz vor Angriffen von außen.
Im Gegensatz zu den verwinkelten Gassen der Medina ist die Mellah gitterförmig angelegt. Das Viertel war mit allem Notwendigen ausgestattet: Bäckereien, Märkten, öffentlichen Bädern, Foundouks (Karawansereien), Synagogen und einem großen Friedhof. Die Juden Marrakeschs waren als Händler, Handwerker, Gold- und Silberschmiede sowie Finanzleute bekannt. Sie kontrollierten den Salzhandel – daher auch der Name „Mellah“, abgeleitet vom arabischen Wort für Salz.
Trotz räumlicher Abgrenzung waren Juden voll in das politische und wirtschaftliche Leben der Stadt integriert. Die Mellah war ein Ort des Austauschs: Muslime kamen zum Einkaufen oder um Kontakte zu Europäern zu knüpfen, ausländische Besucher und Missionare siedelten sich an.
Die Mellah heute: Atmosphäre und Wandel
Vom einstigen Glanz des Viertels ist heute wenig geblieben. Die Mellah zählt zu den ärmeren Gegenden der Medina. Viele Häuser sind einfach, die Bausubstanz war lange marode, wurde aber ab 2016 in Teilen renoviert.
Die Hauptgassen erhielten neue Fassaden, doch das Viertel bewahrt eine authentische, manchmal etwas abgerockte Atmosphäre. Es gibt weniger Touristen, weniger Souvenirshops und Restaurants als in anderen Teilen der Altstadt. In den Seitengassen finden sich noch architektonische Spuren der jüdischen Vergangenheit, etwa Erkerfenster und Balkone, die sich zur Straße hin öffnen – ein Kontrast zu den introvertierten Häusern muslimischer Viertel.
Heute leben in der Mellah überwiegend Muslime. Die jüdische Gemeinde Marrakeschs zählt nur noch etwa 200 Mitglieder, doch Synagogen und Friedhof zeugen weiterhin von der langen Geschichte des Viertels.
Die Synagogen der Mellah
Salat El-Azama-Synagoge
Im Herzen der Mellah, nahe der Place Souweka, verbirgt sich die Salat El-Azama-Synagoge. Sie wurde 1492 von aus Spanien vertriebenen Juden erbaut und ist eine der ältesten und bedeutendsten Synagogen Marokkos. Der Eingang ist unscheinbar, ein kleines Schild weist auf das „Musée juif de Mellah“ hin.
Der blau-weiße Innenhof diente einst als Schule für jüdische Kinder aus der Mellah von Marrakesch und dem Atlasgebirge. Im Inneren beeindruckt der schlichte, von Kacheln gesäumte Gebetssaal. Von der Empore aus hat man den besten Blick auf das Geschehen. In den angrenzenden Räumen informieren historische Fotos und Dokumente über das jüdische Leben in Marrakesch und Marokko.
Die Synagoge ist heute sowohl Museum als auch aktiver Ort jüdischen Lebens. Denn am Freitagabend und Samstagmorgen feiern hier die verbliebenen jüdischen Bewohner Sabbat.
Weitere Synagogen
Am östlichen Ende der Rue Arset el Maâch kann man die Fassade einer weiteren ehemaligen Synagoge erkennen. Der Balkon des gelben Eckhauses ziert noch immer ein Davidstern, im Erdgeschoss befindet sich heute eine Herboristerie.
Direkt am Place des Ferblantiers befindet sich weiterhin die Al Fassayn Synagoge.
Der Jüdische Friedhof – Miâara
Östlich der Avenue Talouat el Miara liegt der beeindruckende jüdische Friedhof, der größte seiner Art in Marokko. Ein braunes Metalltor mit hebräischer Inschrift öffnet den Weg zu einem Meer aus dicht aneinandergereihten weißen Gräbern. Die ältesten Grabsteine stammen aus dem 16. Jahrhundert, viele tragen hebräische Inschriften, einige sind mit Kuppeln verziert.
In mehreren großen Gruften ruhen berühmte Rabbiner und Marabouts. Trotz Renovierungen hat der Friedhof seine besondere, stille Atmosphäre bewahrt und ist ein eindrucksvolles Zeugnis jüdischer Geschichte in Marrakesch.
Souk und Markthalle nahe der Mellah Marrakesch
Direkt am Eingang zur Mellah von Marrakesch liegt ein kleiner, teils überdachter Markt. Hier türmen sich bunte Gewürze, Obst, Gemüse und Waren des täglichen Bedarfs. Der Mellah-Souk ist weniger touristisch als die großen Märkte der Medina und vermittelt einen authentischen Eindruck vom Alltag der Bewohner.
Gleich gegenüber der Place des Ferblantiers befindet sich die große Markthalle, der Marché de la Mellah. Hier kaufen Einheimische Fleisch, Fisch, Oliven, Gewürze und vieles mehr. Die Halle wird von Touristen selten besucht und gilt als eine der ursprünglichsten Einkaufsmöglichkeiten der Stadt.
Place des Ferblantiers und Juwelier-Souk
Die Place des Ferblantiers, früher Place de la Mellah genannt, ist heute ein Zentrum für Kunsthandwerk. Hier gibt es kleine Werkstätten, die vor allem schmiedeeiserne und Weißblech-Souvenirs herstellen. Der Platz ist ein ruhiger Pol am Rand der südöstlichen Medina, mit Cafés und Restaurants, von denen aus man einen schönen Blick auf die Stadtmauer mit ihren Storchennestern hat. Schräg gegenüber liegt der Juwelier-Souk mit seinen Gold- und Silberarbeiten – ein Erbe der jüdischen Handwerkstradition.
Fazit zur Mellah von Marrakesch
Die Mellah von Marrakesch ist kein Ort für prachtvolle Paläste oder auf Hochglanz polierte Sehenswürdigkeiten. Vielmehr bietet sie einen authentischen Einblick in das Alltagsleben der Stadt und die jahrhundertealte Geschichte ihrer jüdischen Gemeinde. Wer durch die Gassen schlendert, die Synagoge besucht und den stillen Friedhof erkundet, erlebt ein Stück echtes Marrakesch – abseits der touristischen Hauptwege, aber voller Atmosphäre und Geschichte.