Juden in Marokko – Geschichte und Gegenwart

Ein Blick auf die Entwicklung der jüdischen Gemeinschaft in Marokko – von ihren Anfängen in der Antike über Phasen des Aufblühens und der Verfolgung bis hin zum heutigen Verhältnis zwischen jüdischer Tradition, der marokkanischen Monarchie und dem Staat Israel.

Seit mehr als 2.500 Jahren leben Jüdinnen und Juden in Marokko. Ihre Gemeinschaft zählt zu den ältesten durchgehend bestehenden demarr Welt und war über viele Jahrhunderte hinweg die größte im islamischen Raum. Die Geschichte der marokkanischen Juden ist geprägt von kulturellem Austausch, religiöser Koexistenz, aber auch von Ausgrenzung und Migration. Trotz der massiven Auswanderung nach der Staatsgründung Israels ist das jüdische Erbe bis heute im kollektiven Gedächtnis und im kulturellen Gefüge Marokkos verankert.

Die tiefen Wurzeln: Juden in Marokko von der Antike bis zur Reconquista

Frühe Anfänge: Die ersten jüdischen Siedlungen vor über 2.500 Jahren

Die jüdische Präsenz in Marokko reicht weit in die Antike zurück, noch vor der Zerstörung des Ersten Tempels in Jerusalem im Jahr 587 v. Chr.. Die älteste bekannte jüdische Gemeinde in der heutigen Region Marokko, Ifrane, soll bereits im Jahr 361 v. Chr. entstanden sein. Eine zweite große Einwanderungswelle erreichte Marokko nach der Zerstörung des Zweiten Jerusalemer Tempels durch die Römer im Jahr 70 n. Chr..

Interessanterweise konvertierte ein Teil der lokalen Bevölkerung Marokkos, insbesondere Berberstämme, bereits vor der Ankunft des Islams im 7. Jahrhundert zum Judentum.

Blütezeiten und Herausforderungen: Gelehrsamkeit, Handel und frühe Konflikte

Unter islamischer Herrschaft entwickelte sich Marokko zu einem wichtigen Zentrum jüdischen Lebens. Die Jeschiwot, die religiösen Schulen, zogen brillante Gelehrte, Dichter und Grammatiker an und prägten die intellektuelle Blüte dieser Zeit. Juden waren in der Politik und Wirtschaft des städtischen Lebens vollintegriert. Sie dienten als Vertraute des Sultans, auch wenn solche Positionen mit erheblichen Risiken verbunden sein konnten.

Trotz dieser Blütezeit gab es auch dunkle Perioden. Das Massaker von Fès im Jahr 1033 war so ein blutiges Ereignis, wird jedoch von Historikern als isolierter Vorfall betrachtet, der hauptsächlich auf politische Konflikte zwischen rivalisierenden Stämmen zurückzuführen war.

Die Ankunft der Sephardim: Die Vertreibung aus Spanien und Portugal und ihre Prägung des marokkanischen Judentums

Ein Wendepunkt in der Geschichte der marokkanischen Juden war die Vertreibung der Sephardim aus Spanien im Jahr 1492 durch das sogenannte Alhambra-Edikt und später aus Portugal im Jahr 1497. Dieses Dekret zwang Tausende von Juden, entweder zum Christentum zu konvertieren oder das Land zu verlassen.

Schätzungsweise 50.000 bis 100.000 Menschen verließen Spanien und suchten Zuflucht in Nordafrika, insbesondere in Marokko, sowie im Osmanischen Reich und später in Lateinamerika.

Diese sephardischen Juden brachten ihre reiche Kultur, ihre Gelehrsamkeit und das Judenspanisch, auch Ladino genannt, mit sich. Ladino entwickelte sich im 16. Jahrhundert aus verschiedenen spanischen Dialekten und bewahrte Merkmale des Spanischen des 15. Jahrhunderts, die in Spanien selbst verschwanden. Die Sephardim verschmolzen mit den bereits ansässigen jüdischen Gemeinden, den sogenannten „Toshavim“ oder „Berberjuden“ zu einer einzigartigen marokkanisch-jüdischen Kultur. Die Neuankömmlinge brachten ihre hochentwickelte Kultur und Sprache mit, während die bereits ansässigen Juden ihre eigenen Bräuche und die Judeo-Berber-Sprache pflegten.

Marokko hat sich über Jahrtausende hinweg als ein sicherer Zufluchtsort für jüdische Gemeinschaften erwiesen, die anderswo Verfolgung oder Vertreibung erlebten. Dies zeigt sich in der frühen jüdischen Präsenz vor der Zerstörung des Ersten Tempels, der Einwanderung nach der Zerstörung des Zweiten Tempels und der massiven Aufnahme der Sephardim nach der Reconquista. Diese wiederkehrende Rolle als sicherer Hafen ist ein prägendes Merkmal der jüdisch-marokkanischen Geschichte.

Die Mellahs: Leben in den jüdischen Vierteln

Entstehung und Zweck: Die ersten Mellahs in Fès und Marrakesch – Schutz und Segregation

Mellahs waren separate, ummauerte jüdische Stadtviertel, die ab dem 15. Jahrhundert in Marokko auf Geheiß der Obrigkeit entstanden. Die erste Mellah wurde um 1438 in Fès gegründet. 

Der Name „Mellah“ (arabisch für „Salz“ oder „salziges Gebiet“) bezog sich ursprünglich auf eine Salzwasserquelle oder ein Salzlager in der Gegend und hatte zunächst keine negative Konnotation. Spätere Mellahs entstanden in Marrakesch Mitte des 16. Jahrhunderts und in Meknès im 17. Jahrhundert.

Die Mellahs dienten vordergründig dem Schutz der jüdischen Bevölkerung vor Angriffen und Unruhen, waren aber gleichzeitig Ausdruck einer räumlichen Segregation. Die Nähe der Mellah zum Königspalast, wie in Fès, wird oft als Zeichen der Abhängigkeit der Juden von der Macht und dem Schutz des regierenden Souveräns interpretiert.

Mellah Fes
Die Architektur in der Mellah bildet mit Fenstern und Balkonen wie hier in Fès einen deutlichen Kontrast zur klassisch-islamischen Gestaltungsweise (Foto: Saida Maknoun via Wikimedia, CC BY-SA 4.0)

Alltag und Interaktion: Wirtschaftliche Rolle, Handwerk und die durchlässigen Grenzen der Mellahs

Trotz ihrer räumlichen Trennung waren Juden in Politik und Wirtschaft des städtischen Lebens vollintegriert. Die Mellah war nie ausschließlich den Juden vorbehalten. Muslime besuchten das Viertel regelmäßig zum Einkaufen, um Kontakte zu Europäern zu knüpfen oder für Aktivitäten, die in der Medina moralisch unvertretbar gewesen wären, wie etwa Trinken, Rauchen, Glücksspiel oder Prostitution.

Juden waren fleißige Händler und geschickte Handwerker, insbesondere in der Silber- und Goldbearbeitung. In Marrakesch hatten sie beispielsweise das Handelsmonopol für Zucker, der hauptsächlich nach England exportiert wurde. Sie waren auch stark in Finanzgeschäfte involviert. Während der Kolonialzeit dienten Juden mit ihren Sprachkenntnissen und ihrer guten Ausbildung als Mittler zwischen Europäern und Muslimen. Diese Rolle war ein Schlüsselfaktor für ihre Integration und ihren Schutz durch die Monarchie.

Das tägliche Leben in der Mellah war stark von der Synagoge als Zentrum für Männer geprägt. Hier wurde gebetet, sich zu Gemeindeversammlungen getroffen und die Tora studiert. Frauen verbrachten weniger Zeit in der Öffentlichkeit, verließen aber das Haus zum Einkaufen, für Feierlichkeiten oder um Familie und Nachbarn zu besuchen. Die Juden zahlten sowohl Vermögenssteuern an den Gemeinderat als auch indirekte Steuern auf koscheres Fleisch und Wein.

Rabbinische Gerichte regelten das Familienrecht, Hochzeiten, Geburten, Todesfälle und die Einhaltung jüdischer Gesetze innerhalb der Gemeinde. Übrigens bezahlt die marokkanische Regierung nach wie vor jüdische Richter, um Familienrecht innerhalb der jüdischen Gemeinde zu regeln.

Wandel und Niedergang: Die Aufgabe der Mellahs im 20. Jahrhundert

Mit dem Beginn des französischen Protektorats Anfang des 20. Jahrhunderts verließen immer mehr Juden die Mellahs und zogen in die wirtschaftlichen Metropolen an der Küste oder in neue, europäisch geprägte Viertel. Diese Entwicklung spiegelte eine zunehmende „Verwestlichung“ und die Suche nach besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten wider. 

Während des Zweiten Weltkriegs, unter der Herrschaft des französischen Protektorats und des Vichy-Regimes, wurden Juden in einigen Städten jedoch gezwungen, in die überfüllten und oft unhygienischen Mellahs zurückzukehren. Heute sind die Mellahs, wie die in Marrakesch, fast ausschließlich von Muslimen bewohnt, dienen aber weiterhin als wichtige historische Sehenswürdigkeiten und Zeugnisse des jüdischen Erbes.

Ein kulturelles Mosaik: Jüdischer Einfluss auf die marokkanische Gesellschaft

Koexistenz und gemeinsame Bräuche: Marabutismus und geteilte Feste wie Mimouna

Die lange Koexistenz von Juden und Muslimen in Marokko führte zu einer einzigartigen kulturellen Synergie. Ein besonderes Phänomen dieser gemeinsamen Geschichte ist der jüdisch-muslimische Marabutismus: Über 600 jüdische Heilige werden in Marokko verehrt, viele davon auch von Muslimen. Pilgerfahrten zu den Gräbern dieser „Tzadikim“ (Heiligen) sind ein zentraler Bestandteil der marokkanisch-jüdischen Tradition und ziehen jährlich Tausende von Juden, auch aus der Diaspora, an.

Jüdische Feste wie Pessach, Hanukkah und Yom Kippur werden in Marokko mit großer Begeisterung gefeiert und verbinden religiöse Traditionen mit lokalen marokkanischen Bräuchen. Mimouna, das Fest am Abend nach Pessach, ist einzigartig für marokkanische Juden und symbolisiert Freiheit und Überfluss. Familien öffnen ihre Häuser für Gäste, bieten süße Speisen wie Honig, Datteln und Milch an, die Süße und Wohlstand bedeuten. Mimouna hat sogar bei Nichtjuden an Popularität gewonnen und wurde in Israel zu einem Nationalfeiertag.

Musik: Verschmelzung von sephardischen, berberischen und arabischen Traditionen

Jüdische Musiker spielten eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der andalusischen Musik Marokkos. Sephardische Melodien verschmolzen mit berberischen und arabischen Einflüssen und schufen wunderschöne Melodien, die oft bei Hochzeiten, Festen und religiösen Zeremonien aufgeführt wurden. Bekannte jüdische Musiker wie Samy Elmghribi und Zohra Al Phssiah prägten die marokkanische Musikszene nachhaltig.

Marokkanische-jüdische Küche

Die marokkanisch-jüdische Küche ist eine reiche Mischung aus lokalen Aromen, jüdischen kulinarischen Traditionen und koscheren Speisegesetzen. Sie ist eng mit sozialen und religiösen Ereignissen verbunden, insbesondere mit Schabbat- und Feiertagsmahlzeiten. 

Typische Gerichte sind Couscous und Tajine, aber auch spezielle Speisen wie Skhina (Dfina) für den Schabbat, eine koschere Version von Pastilla, und süße Köstlichkeiten wie Mofletta für Mimouna. Auch Mahia, ein aus Datteln oder Feigen destillierter Aperitif, wird traditionell mit der jüdischen Gemeinschaft in Verbindung gebracht.

Wellen der Veränderung: Migration und die schrumpfende Gemeinschaft

Die Zeit vor 1948: Erste Spannungen und Pogrome

Bereits vor der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 kam es zu antijüdischen Ausschreitungen in Marokko und anderen nordafrikanischen Ländern. Wenige Wochen nach der Staatsgründung Israels fanden im Juni 1948 blutige Pogrome in den nordöstlichen Städten Oujda und Jerada statt, bei denen 42 Juden getötet wurden. Zehntausende flohen unmittelbar danach aus dem Land. Bis 1941 wurden auch antijüdische Gesetze nach französischem Muster erlassen, auch wenn König Mohammed V. sich aktiv dagegen aussprach. Weitere Morde an Juden ereigneten sich 1953 in Oujda und 1954 in Sidi Qasam.

Der Massenexodus: Die Auswanderung nach der Staatsgründung Israels und den arabisch-israelischen Kriegen (Operation Yachin)

Die jüdische Bevölkerung in Marokko erreichte in den 1950er Jahren ihren Höhepunkt mit einer Gesamtzahl von schätzungsweise 250.000 bis 350.000 Menschen. Doch nach der Staatsgründung Israels 1948 und der zunehmenden politischen Unsicherheit sowie wachsender Armut begann eine massive Auswanderungswelle. Zwischen 1948 und 1956 emigrierten 90.000 Juden. Im Jahr 1959 wurde die Auswanderung nach Israel unter Druck der Arabischen Liga vorübergehend verboten, doch die geheime Migration setzte sich fort.

Eine entscheidende Rolle spielte die Operation Yachin (1961-1964). Dahinter verbirgt sich eine geheime Operation des israelischen Mossad in Abstimmung mit der marokkanischen Regierung. Diese Operation ermöglichte die Ausreise von 90.000 bis 97.000 Juden nach Israel. Marokko erhielt dafür eine finanzielle Entschädigung von 100 bis 250 US-Dollar pro Emigrant. 

Bis zum Sechstagekrieg 1967 verließen rund 250.000 Juden Marokko. Die Kriege von 1967 und 1973 veranlassten die Mehrheit der Verbliebenen zur Auswanderung, hauptsächlich nach Israel. So verließen zwischen 1948 und 2003 insgesamt über 270.000 marokkanische Juden das Land in Richtung Israel.

Zwar gelten heute die Staatsgründung Israels 1948 und die arabisch-israelischen Kriege als die beiden wesentlichen Gründe für den neuerlichen Exodus, doch die Lage ist komplexer. Sie waren nicht der alleinige Grund für das Verschwinden der jüdischen Gemeinden, sondern eher der Anlass. Denn es gab bereits vor 1948 antijüdische Ausschreitungen und politische Unsicherheit sowie eine zunehmende Armut. 

Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in Marokko (1948-Heute)

JahrGeschätzte jüdische Bevölkerung in Marokko
1948~265.000 – 270.000
1950er (Peak)250.000 – 350.000
1956>250.000 – 270.000
1967 (nach Sechstagekrieg)~15.000 – 20.000 (geschätzt, nach Abzug von 250.000)
197125.000
20152.150
2017~2.000
2020~2.100
2023~2.000 – 3.000
2025~1.000
(Quelle: Wikipedia)

Die marokkanische Diaspora: Wo leben marokkanische Juden heute außerhalb Marokkos?

Die überwiegende Mehrheit der marokkanischen Juden lebt heute in Israel. Dort stellt sie mit etwa einer Million Menschen die zweitgrößte jüdische Gemeinschaft bilden. Im Jahr 2003 waren davon 161.000 in Marokko geboren, und weitere 335.000 hatten einen in Marokko geborenen Vater. 

Weitere große Gemeinschaften finden sich in Frankreich (über 50.000), Kanada (etwa 27.000), den Vereinigten Staaten (etwa 25.000), Spanien (etwa 11.600), Venezuela (etwa 6.000) und Brasilien (6.000). Es gibt einen anhaltenden Trend, dass junge Männer aus der verbleibenden Gemeinschaft in Marokko weiterhin nach Israel und Frankreich emigrieren.

Trotz des massiven Exodus und der Etablierung großer Diasporagemeinschaften, insbesondere in Israel, bleibt eine sehr starke emotionale Bindung der marokkanischen Juden an ihr Herkunftsland bestehen. Dies äußert sich in jährlichen Pilgerfahrten zu den Gräbern von Heiligen, der Pflege der marokkanischen Kultur und Sprache (Judeo-Arabisch, Französisch) und dem Stolz auf die marokkanische Identität, selbst nach Jahrzehnten im Ausland. Diese tiefe Verbundenheit ist ein wichtiger Faktor für die heutige Wiederbelebung des jüdischen Erbes in Marokko und die Normalisierung der Beziehungen zu Israel.

Jüdisches Leben heute: Eine kleine, aber aktive Gemeinschaft

Aktuelle Zahlen zur jüdischen Gemeinschaft in Marokko

Die jüdische Bevölkerung in Marokko ist auf geschätzt 1000 Menschen drastisch geschrumpft. Die größte und aktivste jüdische Gemeinde befindet sich heute in Casablanca mit etwa 1.000 Mitgliedern. Kleinere, oft überalterte Gemeinden gibt es in Rabat (400), Marrakesch (250), Meknès (250), Tanger (150), Fès (150) und Tetuan (100). In Essaouira leben heute nur noch etwa 40 jüdische Marokkaner.

Das jüdische Leben in Marokko ist heute stark auf Casablanca konzentriert, was die zentrale Rolle dieser Stadt für die verbleibende Gemeinschaft unterstreicht. 

StadtGeschätzte jüdische Bevölkerung (ca. 2015-2020)
Casablanca1.000
Rabat400
Marrakesch250
Meknès250
Tanger150
Fès150
Tetuan100
Essaouira40
Gesamt~2.000 – 3.000
(Quelle: World Jewish Congress)

Aktive Institutionen und Sehenswürdigkeiten: Synagogen, Museen, Friedhöfe und Pilgerstätten

Marokko bemüht sich stark um die Wiederbelebung und Bewahrung seines jüdischen Erbes. Synagogen, Friedhöfe und Mellah-Viertel werden seit vielen Jahren aufwendig restauriert.

In Casablanca gibt es mehrere Synagogen und jüdische Schulen, die heute noch aktiv sind. 2016 wurde hier auch das El Mellah Museum wiedereröffnet. Es ist das einzige jüdische Museum in der arabischen Welt. 

Fès beherbergt die historische Mellah, die zwar heute kein signifikantes jüdisches Wohnviertel mehr ist, aber wichtige Denkmäler enthält. Dazu gehören der jüdische Friedhof und die restaurierte Ibn Danan Synagoge aus dem 16. Jahrhundert, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.

Auch in Marrakesch ist die Mellah heute hauptsächlich von Muslimen bewohnt, doch kann man Synagogen wie die Salat Al Azama (15. Jahrhundert) und Niguidim (14. Jahrhundert) sowie den jüdischen Friedhof noch immer besichtigen.

In Essaouira zeugen der alte jüdische Friedhof und das restaurierte Haus der Erinnerungen (Bayt Dakira) von der einst großen jüdischen Gemeinde.

Ein besonderes Merkmal des jüdischen Lebens in Marokko sind die Pilgerstätten. Marokkanische Juden aus aller Welt kehren jährlich zurück, um die Gräber verehrter Heiliger (Tzadikim) zu besuchen, wie Rabbi Haim Pinto in Essaouira oder Rabbi Yehouda Benatar in Fès. Insgesamt gibt es 13 solcher berühmten und alten Pilgerstätten, die von lokalen Muslimen gepflegt werden.

Das Engagement des Königshauses: Schutz, Restaurierung und die Anerkennung des jüdischen Erbes

Die marokkanische Monarchie nimmt traditionell eine Schutzrolle für ihre jüdischen Bevölkerung wahr, die international immer wieder als Vorbild religiöser Harmonie dient. Ein herausragendes Beispiel ist König Mohammed V., der während des Zweiten Weltkriegs die Juden Marokkos vor den Vichy-Gesetzen und Deportationen schützte. 

Unter dessen Enkel, König Mohammed VI., hat sich die Haltung gegenüber der jüdischen Gemeinschaft erheblich verbessert. Er initiierte 2010 ein Programm zur Restaurierung jüdischer Friedhöfe und unterstützte die Renovierung von Synagogen wie der Ettedgui-Synagoge in Casablanca. Die marokkanische Verfassung von 2011 erkannte die Rechte religiöser Minderheiten, einschließlich der jüdischen Gemeinschaft, an. Darüber hinaus soll die Geschichte der jüdischen Marokkaner Teil des Lehrplans in Schulen werden.

Die Integration und Pflege jüdischer Kultur in Marokko ist dabei mehr als bloße Denkmalpflege. Dahinter steckt auch eine bewusste politische Strategie des marokkanischen Königs Mohammed VI., um das Bild Marokkos als tolerantes und multikulturelles Land zu festigen. Es dient auch dazu, die Bindung zur großen marokkanisch-jüdischen Diaspora zu erhalten und den Tourismus zu fördern. 

Die Königsfamilie, Israel und der Nahostkonflikt: Eine komplexe Beziehung

Die Abraham-Abkommen: Die Normalisierung der Beziehungen und die Verknüpfung mit der Westsahara-Frage

Im Dezember 2020 trat Marokko den Abraham-Abkommen bei und normalisierte seine diplomatischen Beziehungen zu Israel. Dies beinhaltete die Einrichtung von Direktflügen und die Vertiefung der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit. Der Hauptanreiz für Marokko war die Anerkennung seiner Souveränität über die Westsahara durch die USA unter Präsident Trump – ein zentrales außenpolitisches Ziel Mohammeds VI..

Die Normalisierung wurde von marokkanischen Beamten als Fortsetzung des historischen Schutzes der Juden durch die Monarchie gerechtfertigt. Im Juli 2023 erkannte Israel als zweites Land der Welt Marokkos Anspruch auf die Westsahara an.

Mohammed VI. und der Nahostkonflikt: Marokkos Balanceakt zwischen Israel und der palästinensischen Sache

Trotz der Normalisierung mit Israel betonte König Mohammed VI. gegenüber dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas, dass Marokkos Haltung zur palästinensischen Sache „unverändert und standhaft“ sei. Er bekräftigte die Unterstützung für die Zwei-Staaten-Lösung und die Überzeugung, dass Verhandlungen der einzige Weg zu einer Lösung sind. Mohammed VI. stellte die palästinensische Sache auf die gleiche Ebene wie die Frage der Westsahara.

Die Normalisierung hat in der marokkanischen Gesellschaft eine neue Spaltung hervorgerufen, da Teile der Zivilgesellschaft die Normalisierung als indirekte Legitimierung der Besetzung palästinensischen Landes sehen. Marokko zeigte bei der FIFA-WM 2022 in Katar Solidarität mit Palästina, indem die palästinensische Flagge präsent war. 

Mohammed VI. steht vor der Herausforderung, die Normalisierung mit Israel, die ihm die Anerkennung der Westsahara einbrachte, mit der traditionellen und in der Bevölkerung stark verankerten Solidarität mit der palästinensischen Sache zu vereinbaren. Die neue Spaltung in der marokkanischen Gesellschaft zeigt jedoch, dass dieser Balanceakt nicht ohne interne Reibungen bleibt.

Fazit zur Geschichte und Gegenwart von Juden in Marokko

Die Geschichte der Juden in Marokko ist eine außergewöhnliche Erzählung von über zwei Jahrtausenden, geprägt von tiefen kulturellen Verflechtungen, wirtschaftlicher Bedeutung und einer einzigartigen Koexistenz mit der muslimischen Mehrheit. Von den frühen Berberjuden über die Aufnahme der Sephardim bis hin zur Entwicklung der Mellahs als lebendige Viertel haben Juden die marokkanische Kultur in Musik, Küche und Bräuchen maßgeblich bereichert. 

Trotz des dramatischen Rückgangs der Bevölkerung durch Auswanderung, insbesondere nach der Staatsgründung Israels, bleibt das jüdische Erbe ein unverzichtbarer Teil der nationalen Identität Marokkos.

Die heutige, kleine, aber aktive jüdische Gemeinschaft, vor allem in Casablanca, wird durch das Engagement des Königshauses bei der Restaurierung und Pflege jüdischer Stätten unterstützt. Marokko positioniert sich weiterhin als Brücke zwischen Kulturen und Religionen, indem es sein jüdisches Erbe aktiv bewahrt und feiert, auch im Kontext seiner komplexen Beziehungen zu Israel und dem Nahostkonflikt. Die Bewahrung dieser Geschichte ist einerseits eine Hommage an die Vergangenheit, andererseits auch ein Bekenntnis zu einer vielfältigen und toleranten Zukunft Marokkos.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert