Die Berber (Imazighen) in Marokko

Die Berber, auch bekannt als Imazighen, sind die indigene Bevölkerung Nordafrikas und haben die Kultur und Geschichte Marokkos maßgeblich geformt. Dieser Artikel beleuchtet ihre jahrtausendealte Geschichte und ihre bedeutende Rolle in der heutigen marokkanischen Gesellschaft.

Die Imazighen (wie sich die Berber selbst nennen) sind ein Volk mit einer jahrtausendealten Geschichte. Ihre Wurzeln reichen tief bis in die Steinzeit zurück und ihre Präsenz in Nordafrika ist seit der Antike eindeutig dokumentiert. Lange bevor die Araber im 7. Jahrhundert n. Chr. in die Region kamen, hatten die Berber bereits mächtige Reiche gegründet und eine eigenständige Kultur entwickelt. Von den Küsten des Mittelmeers bis in die Tiefen der Sahara prägten sie die Landschaften Nordafrikas und passten sich erfolgreich an die unterschiedlichsten Lebensräume an.

Heute bilden die Berber einen wesentlichen Teil der marokkanischen Bevölkerung. Schätzungen zufolge stellen sie bis zu 70 % der Einwohner dar. Diese Zahlen sind jedoch schwerlich genau zu bestimmen, da die Grenzen zwischen berberischer und arabischer Identität oft fließend sind. Ihre Sprache, Tamazight, wurde im Jahr 2011 neben Arabisch als offizielle Sprache Marokkos anerkannt.

In einigen ländlichen Regionen, besonders in den Berggebieten, findet man Dörfer, in denen fast ausschließlich Tamazigh gesprochen wird. Gleichzeitig gibt es in den Städten eine wachsende Zahl von Berbern, die zwar ihre kulturelle Identität bewahren, aber im Alltag überwiegend Arabisch oder Französisch sprechen.

Der Begriff „Berber“ vs. „Amazigh“

Der Begriff „Berber“ stammt aus dem griechischen und lateinischen Wort barbarus, das ursprünglich „Fremder“ oder „Unzivilisierter“ bedeutet. Diese Fremdbezeichnung wurde im Laufe der Geschichte von kolonialen Mächten übernommen und trägt eine abwertende Konnotation. 

Viele Angehörige dieser Volksgruppe lehnen daher die Bezeichnung „Berber“ als kolonial und rassistisch ab. Stattdessen bevorzugen sie die Selbstbezeichnung „Amazigh” (Plural: Imazighen). Sie bedeutet so viel wie „freie Menschen“ oder „edle Menschen“. 

Die Wahl des Begriffs „Amazigh“ ist Ausdruck einer bewussten Rückbesinnung auf die eigene kulturelle Identität und ein wichtiger Bestandteil nordafrikanischer Identitätspolitik. Die moderne Amazigh-Bewegung setzt sich für die Anerkennung und den Schutz der Sprache, Kultur und Geschichte der Imazighen ein. Die Verwendung des Begriffs „Amazigh“ anstelle von „Berber“ wird daher zunehmend als ein Zeichen des Respekts gegenüber dieser kulturellen Identität angesehen.

Ende des Ramadan im Hohen Atlas
Das Ende des Fastenmonats Ramadan (Eid al Fitr) feiern Berber im Atlasgebirge gemeinsam (Foto: Riads Marrakesch)

Geschichte der Berber in Marokko

Die Geschichte der Imazighen in Marokko ist tief verwurzelt und facettenreich. Archäologische Funde belegen, dass das Gebiet des heutigen Marokko bereits vor mindestens 400.000 Jahren von Hominiden besiedelt war. In der Antike unterhielten die Berber Kontakte zu Phöniziern, Römern und Vandalen, bevor im 8. Jahrhundert die islamische Eroberung begann. Trotz der Islamisierung bewahrten die Berber viele ihrer Bräuche und gründeten mächtige Dynastien wie die Almoraviden und Almohaden. Diese Reiche erstreckten sich nicht nur über Nordafrika, sondern auch bis nach Spanien (Al-Andalus).

Koutoubia-Moschee in Marrakesch
Die Koutoubia-Moschee entstand zur Zeit der Almohaden und gilt als Wahrzeichen von Marrakesch (Foto: Riads Marrakesch)

Die Almoraviden-Dynastie, die im 11. Jahrhundert entstand, war von besonderer Bedeutung und großem Einfluss. Sie gründeten Marrakesch als Hauptstadt und vereinten erstmals den Maghreb und Al-Andalus politisch unter ihrer Herrschaft. Obwohl die Berber den Islam annahmen, entwickelten sie oft ihre eigenen Interpretationen und synkretistischen Praktiken, die Elemente vorislamischer Traditionen integrierten.

In der Kolonialzeit spielten die Berber eine komplexe Rolle. Während der französischen und spanischen Besatzung wurden sie oft als Instrument gegen die arabische Bevölkerung eingesetzt. Nach der Unabhängigkeit Marokkos im Jahr 1956 sahen sich viele Berber jedoch politisch und kulturell marginalisiert, da der neue Staat eine stark arabisch geprägte Identität propagierte.

Verbreitung der Berber in Marokko

Die Verbreitung der Imazighen in Marokko ist geografisch vielfältig und umfasst sowohl ländliche als auch städtische Gebiete. Das Atlasgebirge, das sich durch Marokko zieht, weist eine hohe Konzentration von Berbern auf. Der Mittlere Atlas, der Hohe Atlas und der Antiatlas sind ihre traditionellen Siedlungsgebiete, in denen die reiche berberische Kultur und Sprache besonders lebendig sind. Auch im Rif-Gebirge im Norden Marokkos leben zahlreiche Imazighen. Sie sprechen allerdings einen eigenen Dialekt, das sogenannte Tarifit.

Amazigh Berber in Marokko
Amazigh-Berber vor einem Berberzelt in Marokko (Foto: Summering2018 via Wikimedia, CC BY-SA 4)

Die Souss-Ebene im Südwesten ist ein weiteres wichtiges Zentrum der berberischen Bevölkerung dar. Hier ist vor allem Tachelhit verbreitet, eine der meistgesprochenen Berber-Sprachen in Marokko. In den letzten Jahrzehnten fand jedoch eine starke Migration in die Städte statt. Viele Berber zogen in urbane Zentren wie Casablanca, Rabat und Marrakesch gezogen, wo sie oft in bestimmten Vierteln konzentriert leben.

Die Berbersprache (Tamazight)

Die geografische Verteilung der Berber in Marokko spiegelt auch ihre sprachliche Vielfalt wider. Während im Rif-Gebiet Tarifit gesprochen wird, ist im Mittleren Atlas Tamazight verbreitet, und im Süden dominiert Tachelhit. Diese sprachliche Diversität trägt zur reichen kulturellen Landschaft Marokkos bei und stellt gleichzeitig eine komplexe Herausforderung für die Standardisierung der Berbersprache dar.

Tamazight gehört zur afroasiatischen Sprachfamilie und wird von schätzungsweise 30 bis 65 Millionen Menschen gesprochen. In Marokko beherrschen mehr als die Hälfte der Bevölkerung eine der Berbersprachen. Seit der Verfassungsreform von 2011 ist Tamazight neben Arabisch als Amtssprache anerkannt. Dies war ein bedeutender Schritt zur offiziellen Anerkennung und Förderung der berberischen Kultur und Identität.

Auch das traditionelle Schriftsystem der Berber, Tifinagh, erlebt eine Renaissance. Es wurde in Marokko offiziell eingeführt, obwohl auch lateinische und arabische Alphabete weiterhin verwendet werden. Die älteste datierte Inschrift in Tifinagh stammt aus der Zeit um 200 v. Chr. Heute wird Tamazight in Schulen unterrichtet und ist in den Medien präsenter, was maßgeblich zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Sprache beiträgt.

Berber und Islam

Die Beziehung der Berber zum Islam ist vielschichtig. Obwohl die Islamisierung Nordafrikas im 7. Jahrhundert begann, zog sich dieser Prozess bis ins 13. Jahrhundert hin. Die Berber nahmen den Islam an, bewahrten jedoch viele ihrer vorislamischen Traditionen, was zu einem einzigartigen religiösen Synkretismus führte.

Ein prägnantes Beispiel dafür ist die Verehrung von Marabouts, lokalen Heiligen, deren Grabmäler als Pilgerstätten dienen. In dieser Praxis verbinden sich islamische Glaubensvorstellungen mit älteren berberischen Traditionen. Die „Sieben Heiligen von Marrakesch“, eine im 17. Jahrhundert geschaffene Pilgerroute, zeigt, wie berberische und islamische Elemente zu einer neuen religiösen Tradition verschmolzen.

Auch Festlichkeiten wie Yennayer, das berberische Neujahrsfest, haben unbestreitbar vorislamische Wurzeln, werden aber heute selbstverständlich im Kontext einer islamisch geprägten Gesellschaft gefeiert. Dieser Art der Traditionsverschmelzung spiegelt die Anpassungsfähigkeit und kulturelle Resilienz der Berber wider.

In der Gegenwart gibt es lebhafte Diskussionen darüber, wie berberische Identität und islamischer Glaube harmonisch in Einklang gebracht werden können. 

Aktuelle Situation und kulturelle Renaissance

In den letzten Jahrzehnten erlebten die Berber in Marokko eine kulturelle Renaissance. Musik, Kunst und Literatur in berberischer Sprache erfahreneinen deutlichen Aufschwung. Festivals wie das Amazigh-Kulturfestival in Fès ziehen jährlich tausende Besucher an. Auch in den Medien sind die Berber präsenter, mit eigenen TV- und Radiosendungen.

Trotz dieser positiven Entwicklungen stehen die Berber in Marokko vor Herausforderungen. Viele ländliche Regionen leiden unter wirtschaftlicher Benachteiligung und einer unzureichenden Infrastruktur. Zudem bestehen weiterhin Spannungen zwischen arabischer und berberischer Identität, die sich in politischen und kulturellen Debatten widerspiegeln.

Die Amazigh-Bewegung in Marokko setzt sich für mehr Anerkennung und teilweise auch für Autonomie ein. König Mohammed VI. startete seit seiner Thronbesteigung 1999 mehrere Initiativen zur Integration der Berber, darunter die Gründung des Königlichen Instituts für Amazigh-Kultur. Diese Schritte werden von vielen als positiv wahrgenommen, auch wenn manche Aktivisten sie als nicht weitreichend genug kritisieren.

Fazit

Die Berber, beziehungsweise Imazighen, sind ein wesentlicher Bestandteil der marokkanischen Identität. Ihre Geschichte reicht weit in die Vergangenheit zurück und ihre Kultur hat Marokko tiefgreifend und nachhaltig geprägt. In den letzten Jahren erfuhr die Berberkultur eine zunehmende Wertschätzung. Dennoch bleibt die vollständige Integration und Gleichberechtigung der Berber eine zentrale Aufgabe für die Zukunft Marokkos.

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