Das Bilderverbot im Islam

Welche Auswirkungen hat die zunehmende Verbreitung von Smartphones und Social Media auf das traditionelle Bilderverbot in der islamischen Kultur? In diesem Artikel beleuchten wir einige historische Ursprünge des Bilderverbots, seine Auswirkungen auf die Kunst und seine heutige Bedeutung in der modernen marokkanischen Gesellschaft.

Tatsächlich enthält der Koran kein ausdrückliches Verbot bildlicher Darstellungen. In mehreren Koranversen wird Gott sogar als „der größte Bildner und Schöpfer“ beschrieben. 

In der frühen islamischen Kunst Persiens und Zentralasiens wurden Mohammed und andere religiöse Figuren häufig bildlich dargestellt. Diese Abbildungen waren jedoch nicht allgemein verbreitet und wurden mit der Zeit immer seltener. Stattdessen entwickelte sich die islamische Kunst hin zu einer Betonung der Schrift und Kalligraphie, die als die höchste Kunstform galten.

Die islamischen Hadithe und das Bilderverbot

Die ersten schriftlichen Belege für ein religiöses Bilderverbot finden sich in der Hadith-Literatur des späten 8. Jahrhunderts. In den kanonischen Sammlungen, darunter Sahih al-Bukhari und Sahih Muslim, die zwischen 870 und 915 entstanden, gibt es mehrere Überlieferungen, die Mohammeds Abneigung gegenüber bildlichen Darstellungen zum 

Ausdruck bringen. So gelten beispielsweise Häuser mit Bildern als unrein. 

Einige Hadithen zeigen eine starke Abneigung gegenüber bildlichen Darstellungen und warnen vor schweren Strafen im Jenseits für diejenigen, die Bilder erschaffen. 

Die wichtigsten Hadithe zum Bilderverbot

Für das Bilderverbot im Islam sind die folgenden Hadithe besonders relevant:

  1. „Die am strengsten bestraften Leute am Tag der Auferstehung werden die Bildschöpfer/Bildmacher (Al-Musawwiruun) sein.“
  2. „Diejenigen, die diese Bilder (Suwar) machen, werden am Tage der Auferstehung bestraft und es wird ihnen gesagt: ‚Macht lebendig was ihr geschaffen habt.’”
  3. „Die Engel gehen nicht in ein Haus, worin sich ein Hund oder Bild (Tamaathil) befindet.“
  4. „Wenn unter denen ein frommer Mann stirbt, bauen sie über seinem Grab eine Gebetsstätte und bringen darin diese Bilder an. Solche Leute sind vor Gott am Tage der Auferstehung die schlechtesten Geschöpfe.“
  5. „Von demjenigen, der ein Bild macht, wird am Tag der Auferstehung verlangt werden, daß er ihm Lebensodem (rūḥ) einhaucht. Das wird er aber nicht tun können.“

Diese und ähnliche Ansichten haben sich im Laufe der Zeit durch kulturelle und religiöse Traditionen verstärkt. Jedoch ist es wichtig, zu beachten, dass die Interpretation dieser Hadithe und ihre Anwendung in der heutigen Zeit unter muslimischen Gelehrten kontrovers diskutiert werden. Viele sehen die Überlieferungen als kontextgebunden und nicht als absolutes Verbot für alle Zeiten.

Christliche und islamische Kunst im Vergleich

Im Christentum entwickelte sich die bildliche Darstellung Gottes und Heiliger im Laufe der Zeit positiv. Die Byzantinische Kirche kannte einen Bilderstreit, der 843 zugunsten der Befürworter von Bildern entschieden wurde. Diese Entwicklung führte zu einer reichen Tradition von Kunst und Symbolik in christlichen Kirchen. Bilder in Kirchen haben einen festen sakralen Platz und sind integraler Bestandteil der christlichen Liturgie.

Im Gegensatz dazu blieb die islamische Kunst weitgehend bilderfrei. Moscheen verzichten auf Bilder, da Abbildungen als unrein gelten und die Anwesenheit von Engeln verhindern sollen. Diese Ablehnung hat sich in der islamischen Welt durchgesetzt, obwohl es in der Frühzeit durchaus bildliche Darstellungen gab.

Auswirkungen des Bilderverbots auf die islamische Kunst

In der islamischen Welt wurden Schrift und Kalligraphie zur höchsten Kunstform erhoben. Architektur und Ornamente wurden bevorzugt, während die Darstellung von Menschen und Tieren weitgehend vermieden wurde. Dies führte zu einer einzigartigen Ästhetik, die sich in den prächtigen Bauwerken, wie dem Bahia-Palast in Marrakesch, widerspiegelt. Die islamische Kunst ist reich an geometrischen Mustern und floralen Motiven, die oft mit religiösen Texten kombiniert werden.

Museum Dar Si Said in Marrakesch
Kunstvolle Stuckarbeiten im Dar Si Said in Marrakesch (Foto: Riads Marrakesch)

Die Ablehnung von Bildern hatte jedoch auch Auswirkungen auf die wissenschaftliche und technische Entwicklung da Skizzen und Zeichnungen als unverzichtbare Werkzeuge fehlten.

Marokko und das Bilderverbot

In Marokko blieb die Tradition der Nichtdarstellung von Natur und Menschen über Jahrhunderte bestehen. Porträtierungen von Herrschern waren bis ins 20. Jahrhundert unbekannt, und die kritische Reflexion über den Menschen spielte eine untergeordnete Rolle. Heute hängen Porträts des Königs und religiösen Autorität Mohammed VI. in vielen Läden, Cafés und Restaurants.

Trotz dieser Traditionen zeigt sich in der modernen marokkanischen Gesellschaft eine zunehmende Offenheit gegenüber westlichen kulturellen Einflüssen. Die Verbreitung von Smartphones und sozialen Medien hat dazu geführt, dass das traditionelle Bilderverbot in der Alltagskultur an Bedeutung verliert. Junge Marokkaner nutzen soziale Medien intensiv und teilen Bilder und Videos, wodurch sich die traditionellen Ansichten über das Bilderverbot zunehmend verschieben.

Berber mit einem Smartphone in der Sahara
Junger Marokkaner mit Smartphone in der Sahara (Foto: Maxine yang via Unsplash)

In der heutigen Zeit erodiert das traditionelle Bilderverbot vor allem durch die Verbreitung von Smartphones, Selfie-Culture und Instagram. Nichtsdestotrotz bleibt die Ablehnung von Bildern, besonders von religiösen Figuren, in vielen Teilen der islamischen Welt bestehen. In Marokko gibt es weiterhin eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Fotografien, was Touristen berücksichtigen sollten.

Die moderne islamische Welt steht vor der Herausforderung, ihre traditionellen Werte mit den Anforderungen der Moderne zu verbinden. Während die saudische Königsfamilie sich auf Geldscheinen und Fotos abbilden lässt, bleibt die Darstellung des Propheten Mohammed in vielen sunnitischen Ländern tabuisiert. Diese Spannung zwischen Tradition und Moderne prägt die islamische Kunst und Kultur und führt zu einer vielschichtigen Debatte über die Rolle von Bildern in der Gesellschaft.

Fazit

Das Bilderverbot im Islam ist ein komplexes Thema, das von historischen und kulturellen Faktoren geprägt ist. Während es in der islamischen Kunst zu einer Betonung der Schrift und Architektur führte, hatte es auch Auswirkungen auf die wissenschaftliche und kulturelle Entwicklung. 

In Marokko spiegeln sich diese Traditionen bis heute in der Gesellschaft wider, obwohl moderne Technologien das traditionelle Bilderverbot zunehmend infrage stellen. Die Zukunft der islamischen Kunst und Kultur wird davon abhängen, wie gut traditionelle Werte mit den Herausforderungen der Moderne in Einklang gebracht werden können.

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