Die Geschichte der marokkanischen Königsstadt Meknès
Meknès ist eine der vier berühmten Königsstädte Marokkos und blickt auf eine über tausendjährige Geschichte zurück, die geprägt ist von Aufstieg, Blüte, Wandel und Erneuerung. Diese vielschichtige Historie beginnt bei den Berberstämmen, durchläuft die großen Dynastien des Maghreb, erlebt mit dem Bauherrnsinn eines Sultans ihren Höhepunkt und bleibt bis heute ein lebendiges Beispiel für das Zusammenspiel von Macht, Architektur und Kultur. In diesem Artikel erhältst du einen detaillierten Überblick über die Geschichte von Meknès.
Die Geschichte der marokkanischen Königsstadt Meknès, die oft im Schatten ihrer berühmteren Schwestern Fès und Marrakesch steht, ist eine Erzählung von Aufstieg, Glanz und Verfall. Die Stadt profitiert seit jeher von ihrer geografisch günstigen Lage in der fruchtbaren Saïss-Ebene zwischen dem Mittleren Atlas und dem Zerhoun-Massiv.
Die UNESCO erklärte 1981 die historische Altstadt von Meknès zum Weltkulturerbe. Diesen Titel erhielt sie insbesondere, weil sie als beispielhaftes Zeugnis für die befestigten Städte des Maghreb gilt. Ihre bis zu 15 Meter hohen Mauern sind von monumentaler und voluminöser Bauweise. Das gesamte Stadtbild sowie die monumentalen Bauten spiegeln eine harmonische Vermischung von islamischen und europäischen Konzepten aus dem 17. Jahrhundert wider.
Die Stadt wird als eine bemerkenswert vollständige urbane Struktur einer nordafrikanischen Hauptstadt jener Zeit betrachtet und veranschaulicht zudem die spezifischen Merkmale der Lehmbauarchitektur des Maghreb. Trotz der folgenden Phasen des Niedergangs und des Verfalls bewahrt Meknès bis heute die Spuren dieser glanzvollen Vergangenheit.
Inhalt
Die Anfänge: Von der Berber-Siedlung zur Meriniden-Metropole
Im Kreis der vier Königsstädte Marokkos, zu denen auch Rabat gehört, nimmt Meknès eine einzigartige Position ein. Während die anderen Metropolen ihre Bedeutung über Jahrhunderte als wechselnde Herrschaftszentren konsolidierten, verdankt Meknès seine imperiale Blüte einer kurzen, aber intensiven Periode, die eng mit der Alaouiten-Dynastie und der Herrschaft eines einzigen Sultans verbunden ist.
Chronologischer Überblick der Dynastien und ihres Einflusses auf Meknès
Dynastie/Periode | Zeitraum | Wichtige Entwicklungen in Meknès |
---|---|---|
Berberstamm der Miknasa | 9. – 10. Jh. | Ursprüngliche Besiedlung und Namensgebung |
Almoraviden | 11. Jh. | Gründung einer militärischen Fèstung (Tagrart) |
Almohaden | 12. – 13. Jh. | Zerstörung und Wiederaufbau der Stadt, Erweiterung der Großen Moschee |
Meriniden | 13. – 15. Jh. | Bau der ersten Kasbah, Medersa Bou Inania, erste Blütezeit |
Alaouiten (Moulay Ismail) | 1672 – 1727 | Aufstieg zur Hauptstadt, Bau der Ville Impériale, Bab Mansour |
Französisches Protektorat | 1912 – 1956 | Entwicklung der „Ville Nouvelle“ durch Henri Prost |
Unabhängiges Marokko | 1956 – heute | UNESCO-Weltkulturerbe, Restaurierungen, wirtschaftliche Bedeutung |
Ursprünge und Namensgebung (9.-11. Jahrhundert)
Die Ursprünge der Stadt Meknès reichen bis ins 9. und 10. Jahrhundert zurück, als sich der aus dem heutigen Tunesien kommende Berberstamm der Miknasa (Meknassa) in der Region niederließ und der Siedlung ihren Namen gab. Über einen längeren Zeitraum blieb Meknès ein kleiner, unbefestigter Provinzort, eine Ansammlung von Dörfern, die als miknāsat al-zaytūn bekannt waren.
Die erste bedeutende Entwicklung erlebte die Siedlung im 11. Jahrhundert, als die Almoraviden den Ort eroberten. Sie bauten Meknès zu einer militärischen Festung aus, nannten sie ursprünglich Tagrart (oder Taqrart) und legten den Grundstein für die heutige Medina. Auch die Große Moschee von Meknès soll in dieser almoravidischen Ära entstanden sein.
Zerstörung und Wiederaufbau durch die Almohaden (12.-13. Jahrhundert)
Die befestigte Stadt leistete Widerstand gegen die militärischen Vorstöße der Almohaden, die sie nach einer langen Belagerung im 12. Jahrhundert vollständig zerstörten. Jedoch wurde Meknès bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts unter dem Almohaden-Kalifen Muhammad al-Nasir wieder aufgebaut. In dieser Phase wurden die Stadtmauern und die Große Moschee erneuert, was Meknès eine kurze Periode relativen Wohlstands bescherte.
Die Blütezeit unter den Meriniden (13.-15. Jahrhundert)
Eine erste, wenn auch nicht imperiale, Blütezeit erlebte Meknès unter der Herrschaft der Meriniden, die die Stadt 1244 eroberten. Obwohl die Meriniden Fès zu ihrer Hauptstadt machten, errichteten sie 1276 in Meknès eine erste Kasbah als Gouverneursresidenz.
Während ihrer Herrschaft wurde die Große Moschee restauriert und wichtige theologische Schulen, sogenannte Medersen, erbaut. Die Medersa Bou Inania, deren Bau 1358 fertiggestellt wurde, gilt als ein herausragendes Beispiel der merinidischen Baukunst und ist mit ihrer exquisiten Innenausstattung aus Fliesen und Holzschnitzereien bis heute eine der Hauptattraktionen der Stadt.
Moulay Ismail: Die goldene Ära des „Marokkanischen Versailles“ (1672-1727)
Nach dem Ende der Meriniden- und Wattasiden-Dynastien litt Meknès unter Vernachlässigung, da die nachfolgende Saadier-Dynastie ihre Aufmerksamkeit auf Marrakesch konzentrierte. Die größte Bedeutung in der Stadtgeschichte erlangte Meknès erst mit dem Aufstieg der Alaouiten-Dynastie im 17. Jahrhundert. Sultan Moulay Ismail (reg. 1672–1727), der zweite Herrscher dieser Dynastie, erhob die Stadt 1672 zu seiner neuen Hauptstadt. Die Europäer nannten ihn wegen seiner Grausamkeit auch „der Blutrünstige“.
Die politische Motivation hinter der Verlegung der Hauptstadt
Die Entscheidung von Moulay Ismail, Meknès zur Hauptstadt zu machen, war kein Zufall, sondern ein politisch motivierter und strategischer Schachzug. Obwohl sein Halbbruder und Vorgänger, Al-Rashid, Fès wieder als Hauptstadt etabliert hatte, traf Moulay Ismail die bewusste Entscheidung, sich von diesem traditionellen Machtzentrum zu lösen. Fès war zu jener Zeit die Hochburg der politischen und religiösen Eliten, die der Zentralmacht oft feindselig gegenüberstanden. Indem er eine eigene, neue imperiale Stadt, die Ville Impériale, gründete, konnte er eine frische Basis aufbauen, die ausschließlich seiner Kontrolle unterlag.
Dieses Vorgehen ermöglichte es ihm, eine absolutistische Herrschaft zu etablieren, ohne die Einmischung der etablierten Eliten befürchten zu müssen. Die Stadt Meknès wurde somit nicht nur zur Hauptstadt, sondern auch zum physischen Ausdruck seiner unangefochtenen Autorität, ähnlich wie sein europäischer Zeitgenosse Ludwig XIV. Versailles nutzte, um seine absolute Macht zu symbolisieren.
Die „Ville Impériale“
Als Bewunderer des französischen Sonnenkönigs schuf Moulay Ismail ein monumentales Bauwerk, das oft als das „marokkanische Versailles“ bezeichnet wird.
Die Kasbah von Meknès war ein riesiger, von Rampen und Gärten umgebener Palastkomplex, der viermal größer war als die Medina der Stadt. Der Bau der königlichen Stadt, für den der Sultan Berichten zufolge zwischen 1.000 und 3.000 christliche Sklaven und 20.000 bis 30.000 Gefangene einsetzte, dauerte bis zu seinem Tod im Jahr 1727 an.
Als wichtigster Haupteingang zur Kasbah gilt das Bab Mansour, das Tor des siegreichen Abtrünnigen. Es gilt als eines der schönsten Tore der Welt. Obwohl der Bau von Moulay Ismail begonnen wurde, wurde er erst 1732, fünf Jahre nach seinem Tod, von seinem Sohn Moulay Abdallah vollendet. Das Tor zeichnet sich durch eine Mischung aus maurischer Ästhetik und Elementen aus antikem Rom aus. Ein markantes Merkmal ist die Wiederverwendung von Baumaterialien aus früheren Epochen und von rivalisierenden Dynastien. Es verfügt über massive Marmorsäulen, die wahrscheinlich aus der nahegelegenen römischen Stätte Volubilis stammen.
Die Architektur der Macht
Noch bedeutender ist die Tatsache, dass Moulay Ismail den prunkvollen Saadier-Palast El Badi in Marrakesch systematisch demontieren und seine Materialien nach Meknès transportieren ließ. Die Entnahme von Materialien war weitaus mehr als eine praktische Maßnahme zur Beschaffung von Baumaterialien. Der El Badi Palast war das architektonische Meisterwerk der Saadier-Dynastie, der Rivalen der Alaouiten. Indem Moulay Ismail ihn plünderte und seine wertvollen Marmor-, Onyx- und Goldverzierungen in seiner neuen Hauptstadt wieder verbaute, demütigte er die Vorgängerdynastie öffentlich und eignete sich ihre Herrlichkeit an, um seine eigene Legitimierung und Pracht zu unterstreichen. Die Verwendung antiker römischer Spolien aus Volubilis betonte zusätzlich sein Bestreben, ein Reich zu schaffen, das über alle früheren Zivilisationen hinausragte.
Die Heri es-Souani, die königlichen Ställe und Getreidespeicher, sind ein weiteres beeindruckendes Zeugnis der Vision des Sultans. Er ließ diese gewaltigen Kammern bauen, um bis zu 12.000 königliche Pferde zu beherbergen, die Moulay Ismail Gerüchten zufolge besser behandelt haben soll als Menschen.
Die angrenzenden Granarien waren so massiv, dass sie genug Getreide für die Pferde und die Bevölkerung für bis zu 20 Jahre lagern konnten. Trotz der Zerstörung des Daches durch das Erdbeben von 1755 blieben die riesigen Mauern und das Reservoir erhalten und können noch heute besichtigt werden.
Das Mausoleum von Moulay Ismail ist einer der wenigen Sakralbauten Marokkos, die für Nicht-Muslime zugänglich sind. Der Sultan wählte den Ort, der einst das Gerichtsgebäude der Stadt war, selbst aus und ließ das Bauwerk noch zu Lebzeiten errichten. Das Mausoleum beherbergt die Gräber von Moulay Ismail, seiner Frau Lalla Khouata und seinen Nachkommen. Es wurde in den 1950er Jahren unter König Mohammed V. umfassend renoviert.
Wichtige Bauwerke der Ära Moulay Ismail
Bauwerk | Funktion zur Zeit Moulay Ismails | Heutiger Zustand/Rolle |
---|---|---|
Bab Mansour | Zeremonielles Haupttor der Kasbah | Musealer Ausstellungsraum, Touristenattraktion |
Ville Impériale (Kasbah) | Königlicher Palastkomplex | Größtenteils in Ruinen, einige Teile genutzt vom König |
Heri es-Souani (Ställe & Granarien) | Stallungen für 12.000 Pferde, Getreidespeicher | Ruinen, die besichtigt werden können, UNESCO-Stätte |
Moulay Ismail Mausoleum | Grabstätte des Sultans | Aktive Grabmoschee, für Nicht-Muslime zugänglich |
Stadtmauern | Fortifikation der Stadt und der Kasbah | Weitgehend erhalten, mit Renovierungsbedarf |
Das schwierige Erbe des Sultans: Die Armee der ‚Abid al-Bukhari
Die Basis von Moulay Ismails Herrschaft war seine persönlich aufgestellte Sklavenarmee, die ‚Abid al-Bukhari. Diese loyale, schlagkräftige Truppe aus afrikanischen Sklaven war der Schlüssel zu seinem militärischen und politischen Erfolg.Die ‚Abid-Armee war für die Eintreibung von Steuern und die Niederschlagung von Aufständen zuständig, was die Konsolidierung und Aufrechterhaltung der Macht des Sultans sicherstellte.
Doch die Instrumente seiner Macht, die Moulay Ismail zu Lebzeiten schuf, wurden nach seinem Tod zur Ursache des Chaos. Der Sultan hatte Berichten zufolge eine immense Zahl an Kindern (einige Schätzungen reichen bis zu 1171 Kindern), was die Wahrscheinlichkeit eines Nachfolgestreits drastisch erhöhte. Ohne eine klare Nachfolgeregelung und mit einer großen Zahl rivalisierender Söhne, die sich gegenseitig bekriegten, wurde die ‚Abid-Armee, einst die Stütze des Reiches, zu einer dominanten Fraktion, die in der Lage war, Sultane einzusetzen oder abzusetzen.
Dies führte zu einer Phase politischer Anarchie und Instabilität, die Meknès‘ Bedeutung als Hauptstadt beendete und den Verfall der imperialen Bauten beschleunigte. Das Erbe des Sultans erwies sich somit als ein zweischneidiges Schwert, das das von ihm geschaffene Reich fast zu Fall brachte.
Der Niedergang nach Moulay Ismails Tod
Mit dem Tod des Sultans im Jahr 1727 endete abrupt die kurze, goldene Ära von Meknès als Hauptstadt. Seine Nachfolger, die sich in heftigen Thronstreitigkeiten befanden, verließen die von Moulay Ismail erbaute Ville Impériale und verlegten die Hauptstadt wieder nach Fès. Die gigantische Palastanlage wurde nicht mehr instand gehalten und verfiel zusehends.
Die Katastrophe des Erdbebens von 1755
Den finalen Todesstoß für die imperiale Stadt lieferte eine Naturkatastrophe. Ein schweres Erdbeben, das nur wenige Wochen nach dem berühmten Erdbeben von Lissabon auftrat, traf Meknès am 27. November 1755. Die Zerstörung war verheerend. Tausende von Menschen starben, und die meisten der massiven, aber nun verlassenen Bauten Moulay Ismails wurden zerstört oder schwer beschädigt.
Die Neuzeit: Koloniale Ära und Wiedergeburt
Nach einer langen Phase des Niedergangs wurde Meknès 1912 von den Franzosen erobert. Unter dem Protektorat wandelte sich die Rolle der Stadt erneut. Sie wurde zu einem wichtigen Militärstandort und zu einem blühenden Agrarzentrum in einer der fruchtbarsten Regionen des Landes.
Die Entstehung der „Ville Nouvelle“ und das koloniale Erbe
Unter französischer Herrschaft wurde ab 1912 die Ville Nouvelle gegründet. Der berühmte Urbanist Henri Prost entwarf die Pläne für die Neugestaltung der marokkanischen Städte, einschließlich Meknès. Die Neustadt wurde physisch durch den Fluss Oued Bou Sekrane von der historischen Altstadt getrennt. Diese französische Stadtplanung war eine Fortsetzung der imperialen Geste von Moulay Ismail, wenn auch unter anderen Vorzeichen.
Doch die Schaffung einer separaten Ville Nouvelle war keine zufällige Entwicklung, sondern ein bewusstes Instrument der kolonialen Macht. Die Franzosen nutzten die Stadtplanung, um eine physische und soziale Trennung zwischen der europäischen Verwaltung und den einheimischen Marokkanern zu schaffen. Während die Neustadt nach modernen Standards mit breiten Straßen und europäischen Baustilen entwickelt wurde, wurde die Medina als historischer Kern belassen.
Diese Spaltung prägt das heutige Stadtbild und reflektiert die komplexe historische Schichtung von Meknès: das Erbe der Berber, die imperialen Visionen Moulay Ismails und die strategische Planung des französischen Protektorats.
Mit der Unabhängigkeit Marokkos im Jahr 1956 begann eine neue Ära für Meknès. Der historischen Stadt wurde 1981 der Titel eines UNESCO-Weltkulturerbes verliehen, was ihre Bedeutung international festigte und den Anstoß für eine umfassende Erhaltung gab.
Meknès heute im 21. Jahrhundert
Das heutige Meknès ist ein bedeutendes Wirtschaftszentrum, dessen Identität stark von der Landwirtschaft geprägt ist. Die Stadt dient als wichtiger Umschlag- und Verarbeitungsplatz für landwirtschaftliche Produkte wie Gemüse, Oliven, Wein und Zitrusfrüchte, die in der umliegenden fruchtbaren Ebene angebaut werden. Auch das traditionelle Kunsthandwerk blüht in den Souks, die als die ursprünglichsten in Marokko gelten.
Auch der Tourismus hat sich zu einem wichtigen Wirtschaftszweig entwickelt. Dennoch wird Meknès oft im Schatten von Fès und Marrakesch übersehen.
Fazit zur Geschichte von Meknès
Die Geschichte von Meknès ist die eines kometenhaften Aufstiegs und eines schnellen Niedergangs, der untrennbar mit der visionären, aber auch despotischen Herrschaft von Moulay Ismail verbunden ist. Seine Vision von einer imperialen Stadt war so monumentell, dass sie seinen Tod nicht überdauerte und schließlich verfiel, beschleunigt durch politische Anarchie und Naturkatastrophen.
Heute ist Meknès eine Stadt, die ihre komplexe Vergangenheit bewahrt. Die laufenden Bemühungen um die Restaurierung der historischen Stätten und die Entwicklung einer nachhaltigen Tourismusstrategie sind entscheidend, um sicherzustellen, dass das „Versailles von Marokko“ nicht nur in den Geschichtsbüchern überlebt.