Geschichte der Königsstadt Rabat

Rabat ist eine Stadt der Kontraste, in der die Spuren antiker Zivilisationen und mittelalterlicher Festungen neben modernen Bauten existieren. Die Geschichte Marokkos spiegelt sich in der Entwicklung der Hauptstadt wider: von einer phönizischen Handelssiedlung über eine römische Stadt und ein Piratennest bis hin zu einem wichtigen politischen und kulturellen Zentrum. Dieser Artikel beleuchtet die vielschichtigen Wurzeln und die einzigartige Entwicklung Rabats durch die Jahrtausende.

Die Geschichte Rabats ist untrennbar mit der von Marokko verbunden. Beginnend mit den ersten Siedlungen der Phönizier, entfaltete sich die Stadt vor allem nach der Errichtung einer islamischen Festung durch Berberstämme im 8. Jahrhundert n. Chr. Diese militärische Bedeutung blieb über die Jahrhunderte bestehen und wurde unter den Almohaden zur Blüte geführt, wodurch Rabat zur monumentalen Hauptstadt ausgebaut wurde. Später wurde die Stadt als Piratenrepublik berüchtigt, bevor sie in der Kolonialzeit zur modernen Hauptstadt von Marokko wurde.

Frühgeschichte und Antike

Das Gebiet um das heutige Rabat war bereits in vorgeschichtlicher Zeit besiedelt. 1933 gefundene Hominiden-Schädel, die etwa 100.000 Jahre alt sind, bestätigen eine frühe menschliche Anwesenheit am Bou-Regreg. Die eigentliche Geschichte Rabats aber beginnt im Bereich der Nekropole Chellah am Ostrand der heutigen Innenstadt. Dort errichteten die Phönizier spätestens ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. einen Hafen, der von Karthagern und dann von Römern übernommen wurde. 

Unter Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) wurde das südliche Ufer als Siedlungsplatz Sala erobert und kurze Zeit später von Kaiser Trajan (98–117) unter dem Namen Colonia Sala zur Stadt erhoben. Die Siedlung war die südlichste Stadt der Provinz Mauretania Tingitana und galt als wichtigster Vorposten des Römischen Reiches an der Atlantikküste Nordafrikas.

Die Ankunft des Islam und die Berberzeit

Bis zum Ende des 10. Jahrhunderts war das Gebiet rund um die Chellah-Ruinen und die Flussmündung nur locker besiedelt. Um 980 gründete der Berberstamm der Banu Ifran an der Südseite der Bou-Regreg-Mündung eine islamische Grenzfestung, einen sogenannten Ribat, nach dem Rabat seinen Namen erhielt. Diese Wehrburg diente als militärischer Stützpunkt im Konflikt mit dem unabhängigen Berberreich der Bargawata. 

Auf dem gegenüberliegenden Flussufer lag Salé, eine weitere Berbersiedlung, die im Lauf der Geschichte für die Entwicklung Rabats von großer Bedeutung wurde.

Almoraviden und Almohaden: Die erste Blütezeit

Das religiös-politische Ringen zwischen Berberstämmen endete mit der Eroberung durch die Almoraviden (1061–1147). Doch erst unter den Almohaden (ab 1150) wurde Rabat zur Großstadt: Der erste Kalif Abd al-Mu’min ließ den Ribat ab etwa 1150 zu einer befestigten Residenz mit einer eigenen Wohnsiedlung (Kasbah des Oudayas) ausbauen.

Rabat erhielt den Namen Ribatu l-Fath („Befestigung des Sieges“). Unter Yaʿqūb al-Mansur (1184–1199) wurde die Stadt zur Hauptstadt des Reiches ausgebaut. Die imposanten Stadtmauern mit ihren monumentalen Toren und die große Moschee mit dem Hassan-Turm, dem heutigen Wahrzeichen der Stadt, stammen aus dieser Zeit.

Al-Mansur hatte geplant, Rabat anstelle von Marrakesch zur Hauptstadt zu machen, doch nach seinem Tod verfielen viele Bauprojekte. Die Stadt blieb jedoch ein bedeutender militärischer und religiöser Standort, vor allem für die Überfahrten nach Spanien während der Reconquista.

Meriniden und die mittelalterliche Nekropole Chellah

Nach dem Almohadenreich eroberten die Meriniden ab Mitte des 13. Jahrhunderts das Gebiet, besetzten Salé und richteten in den Chellah-Ruinen ihre königliche Nekropole ein. Rabat selbst geriet zunehmend ins Abseits. Die wirtschaftlichen Aktivitäten konzentrierten sich auf den Seehandel und den Hafen von Salé, während Rabat im 15. Jahrhundert nur noch knapp 100 bewohnte Häuser aufwies.

Die Nekropole Chellah wurde im 13. und 14. Jahrhundert zu einem bedeutenden Begräbnisort für Sultane und religiöse Führer. Besonders sehenswert ist das Grab des Sultans Abu l-Hasan (gest. 1351).

Der Aufschwung durch die Andalusier und die Piratenrepublik Bou-Regreg

Im 17. Jahrhundert erlebten Rabat und Salé eine neue Blütephase, als Mauren, die aus Spanien vertrieben worden waren, sich hier niederließen. Hinzu kamen die zum Christentum gezwungenen Morisken (1609–1614). Ihre Anwesenheit führte zur Gründung der „Piratenrepublik Bou-Regreg“, einer fast unabhängigen Herrschaft, die sich vor allem der Seeräuberei und dem Sklavenhandel widmete. Die politische Kontrolle übte Rabat aus, während sich Salé auf Hafen und Schiffbau konzentrierte.

Diese Epoche wurde von wiederholten militärischen Auseinandersetzungen und Piraterie geprägt – französische und englische Kriegsschiffe griffen Rabat im 18. Jahrhundert immer wieder an. 1755 zerstörte ein Erdbeben große Teile der Stadt. Kurz darauf folgten Bombardements durch französische Kriegsschiffe als Vergeltung für die andauernde Piraterie.

Unter der Herrschaft der Alawiden

1668 wurde die Piratenrepublik von den Alawiden erobert und das Gebiet unter die Zentralgewalt des Sultans gestellt. Die Freibeuterei blieb jedoch bestehen. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts verarmte Salé, während Rabat vom Seehandel und der verbesserten politischen Stabilität profitierte und sich wieder entwickelte.

Kolonialzeit: Rabat als Verwaltungszentrum

Ab 1912 wurde Rabat Hauptstadt des französischen Protektorats und Sitz des Generalresidenten Hubert Lyautey. Die Franzosen bauten eine großzügig moderne Stadt – die Ville Nouvelle –, die bis heute viele repräsentative Verwaltungs- und Wohngebäude prägt. Die alten Viertel (Kasbah des Oudayas, Medina, Chellah) blieben weitgehend erhalten; neue Stadtviertel entstanden vor allem für die europäischen und einheimischen Eliten.

Die Kolonialzeit prägte die städtische Struktur und das kulturelle Leben Rabats nachhaltig. Bis zur Unabhängigkeit Marokkos 1956 dominierte die französische Administration das öffentliche Leben.

Von der Unabhängigkeit bis heute

Seit der Unabhängigkeit 1956 ist Rabat Sitz der Regierung und Residenz des marokkanischen Königs. Die Stadt entwickelt sich zum politischen, administrativen und kulturellen Zentrum des Landes. Mit dem Bab el-Bahr-Projekt am Bou-Regreg entstanden ab dem Jahr 2000 neue Wohn- und Kulturviertel, die den historischen Kern aufwerten.

Die Medina und die Kasbah des Oudayas sind heute UNESCO-Weltkulturerbe und zeugen bis heute von der wechselvollen Geschichte Rabats, mit seinen heute knapp 700.000 Einwohnern. Neben monumentalen Überbleibseln wie dem Hassan-Turm oder der Chellah-Nekropole bietet das heutige Rabat lebendige Moderne als internationale Großstadt, Verwaltungssitz und Zentrum marokkanischer Lebensart.

Fazit: Eine Reise durch die Epochen

Von der phönizischen und römischen Siedlung über Berberreiche und das Golden Age der Almohaden bis zur Piratenherrschaft, vom französischen Protektorat bis zur modernen Hauptstadt spiegelt die Geschichte von Rabat auf faszinierende Weise die gesamte wechselvolle Entwicklung Marokkos wider. Die Königsstadt ist zugleich Tradition und Zukunft, Zentrum der Macht und Zeugnis der marokkanischen Identität.