Der Westsahara-Konflikt: Historische Entwicklung, völkerrechtliche Sackgassen und geopolitische Neuordnung
Der Westsaharakonflikt ist ein Jahrzehnte andauernder Streit um die Kontrolle über eine Wüstenregion mit schwerem kolonialem Erbe. Die Westsahara ist der Schauplatz eines komplexen Ringens zwischen Marokko und der von Algerien unterstützten Frente Polisario, die die Unabhängigkeit der Demokratischen Arabischen Republik Sahara anstrebt. International ist die Lösung weiterhin umstritten, doch gab es 2025 eine entscheidende Wendung.
Das Territorium der Westsahara grenzt an den Atlantischen Ozean sowie an Marokko, Algerien und Mauretanien. Es umfasst die geografischen Regionen Río de Oro und Saguia el-Hamra. Die Geschichte dieser Region ist eng mit den kolonialen Interessen Spaniens und Frankreichs verknüpft, die im Vertrag von Fès (1912) festgehalten wurden. Dieser markierte das Ende der Unabhängigkeit Marokkos und integrierte den Großteil des Königreichs in das französische Kolonialreich.
Obwohl der Vertrag nur zwischen Frankreich und dem Sultan geschlossen wurde, ermöglichte dieser den Spaniern ebenfalls, territoriale Ansprüche geltend zu machen. Im später unterzeichneten französisch-spanischen Vertrag vom 27. November 1912 wurde Marokko in das französische Protektorat mit Rabat als Hauptstadt, in Spanisch-Marokko im Norden und Süden sowie in die internationale Zone von Tanger aufgeteilt.
Inhalt
Die koloniale Vorgeschichte und die Entstehung des Westsahara-Konflikts
Nach Marokkos Unabhängigkeit 1956 entstand auch in der Westsahara der Wunsch nach Autonomie und Selbstbestimmung. Mit dem sogenannten „afrikanischen Jahr“ 1960, in dem viele afrikanische Staaten die Unabhängigkeit erlangten, wurde auch die Westsahara-Frage Thema im Entkolonialisierungsausschuss der UN.
Im Jahr 1965 forderte die erste UN-Resolution Spanien auf, das Gebiet zu entkolonialisieren und den Saharauis ihre Eigenstaatlichkeit zu gewähren. International fand die Region zunächst wenig Beachtung, doch sowohl Marokko als auch Mauretanien erhoben territoriale Ansprüche auf das Gebiet, was die Entkolonisierung massiv verkomplizierte.
Marokkos Interesse an der Westsahara entfaltete sich zunächst aus der mit einem Groß-Marokko verbundenen Befreiungsideologie. Doch die später in Bou Craa entdeckten großen Phosphatvorkommen machten die Region auch wirtschaftlich attraktiv.

Der Aufstieg des Saharaui-Nationalismus und die Gründung der Polisario
Zwar signalisierte Spanien bereits 1967 die Bereitschaft zu einem Referendum. Dessen tatsächliche Durchführung wurde jedoch immer weiter hinausgezögert. Schließlich gründeten saharauische Studenten um al-Wali Mustafa Sayyid 1973 die Frente Polisario (Frente Popular para la Liberación de Saguia el-Hamra y Río de Oro), die mit bewaffneten Aktionen gegen die spanische Verwaltung sowie gegen Ziele wie die Phosphatmine in Bou Craa vorging. Als Reaktion versuchte Spanien, die Guerilla militärisch zu bekämpfen.
Da ihre Gründung noch vor dem spanischen Abzug erfolgte, fiel es der Polisario leicht, sich als wichtigster Repräsentant der indigenen Bevölkerung im Kampf der Entkolonisierung zu etablieren. Ihren Hauptsitz verlegte sie früh in die algerische Provinz Tindouf. Politisch-ideologisch orientiert sich der Saharaui-Nationalismus der Polisario am demokratischen Sozialismus.
Der Rückzug Spaniens aus der Westsahara und der internationale Gerichtshof
Im Jahr 1974 kündigte Spanien ein Referendum zur Zukunft der Westsahara für das folgende Jahr an. Mauretanien und Marokko drängten jedoch auf dessen Aussetzung und brachten erfolgreich eine Resolution beim Internationalen Gerichtshof (IGH) ein, um zunächst die Zugehörigkeit der Westsahara zu klären.
Der internationale Gerichtshof stellte in einer Entscheidung von 1975 das unveräußerliche Selbstbestimmungsrecht der saharauischen Bevölkerung über die historischen Ansprüche Marokkos und Mauretaniens. Er stellte zudem fest, dass es keinen begründeten Rechtsanspruch auf territoriale Souveränität zwischen der Westsahara und dem Königreich Marokko bzw. Mauretanien gäbe und verneinte damit die Grundlage für Marokkos historische Ansprüche. Der Grundsatz der Selbstbestimmung müsste durch einen frei und unverfälscht geäußerten Willen der Bevölkerung angewandt werden. Völkerrechtlich hätte dieses Urteil ein Referendum also zwingend erforderlich gemacht.
Indes begannen Algerien und die Polisario militärisch und diplomatisch zusammenzuarbeiten. Dagegen begannen Marokko und Mauretanien, ihre Ansprüche auf die Westsahara zu verstärken. Trotz zahlreicher internationaler Bemühungen und Vermittlungsversuche stieg die Gewaltbereitschaft in der Region.
Der Grüne Marsch (November 1975)
Der marokkanische König Hassan II. interpretierte das eindeutige IGH-Urteil öffentlich als Bestätigung historischer Souveränität. Und noch vor dem endgültigen Abzug Spaniens, der durch das Madrid-Abkommen von 1975 festgelegt wurde, schuf das marokkanische Staatsoberhaupt Tatsachen mit dem Aufruf zum Grünen Marsch (Al Massira), bei dem rund 350.000 unbewaffnete Marokkaner in die Westsahara einzogen.

Diese Aktion war einerseits eine symbolische Machtdemonstration, um die Position Spaniens zu schwächen, und andererseits eine demografische Maßnahme mit Blick auf ein mögliches Referendum. Mittels dieser „Soft Invasion“ wandelte Marokko die IGH-Rechtsfrage in eine Frage der nationalen Einheit und des kollektiven Volkswillens um.
Obwohl der UN-Sicherheitsrat Marokko umgehend aufforderte, den Marsch zu beenden, ergaben sich daraus keine spürbaren Konsequenzen, was Marokko den Raum ließ, seine Annexionsstrategie fortzusetzen.
Die Annexion und die militärische Teilung des Territoriums
Spanien erklärte sich bereit, sich bis Ende Februar 1976 vollständig zurückzuziehen und die beiden Nachbarstaaten an der Verwaltung des Territoriums zu beteiligen. Dieses trilaterale Abkommen führte zur de facto Teilung des Gebiets und ignorierte die vom IGH bestätigte Forderung nach Selbstbestimmung. Diese völkerrechtswidrige Vereinbarung war primär ein Versuch Spaniens, das Territorium schnell und ohne weiteres Chaos zu verlassen.
Die Polisario erklärte das Abkommen jedoch für nichtig und sah es als Verrat am Selbstbestimmungsrecht an. Sie proklamierte stattdessen die unabhängige Demokratische Arabische Republik Sahara, die sogenannte Sahrawi Arab Democratic Republic (DARS).
Nach dem Rückzug Spaniens begann die militärische Besetzung der Westsahara durch Marokko und Mauretanien. Marokko übernahm die Kontrolle über den Großteil der Region, einschließlich der Hauptstadt El Aaiún und der Phosphatminen von Bou Craa.
Mauretanien besetzte dagegen das südliche Drittel der Westsahara. Die Aufteilung des Gebietes wurde von der UN abgelehnt, die weiterhin auf einem Referendum bestand. Diese Polarisierung verstärkte sich durch internationale Einflussnahme und die Mobilisierung der jeweiligen Unterstützerstaaten.
Die Bevölkerung litt unter Vertreibung, Flucht und militärischer Gewalt. Im Februar 1976 lebten rund 100.000 Flüchtlinge in Algerien, in der Hauptsache Saharauis. Die Polisario reagierte kriegerisch und griff Städte sowie Infrastruktur an.
Aus dem antikolonialen Kampf gegen Spanien wurde nun also ein zwischenstaatlicher Krieg um territoriale Souveränität, in welchem Marokko und Mauretanien sofort militärisch gegen die DARS vorgingen. Die UN-Generalversammlung reagierte auf die marokkanische Übernahme, indem sie die Herrschaft Marokkos später als „fortgesetzte Besatzung“ einstufte. Damit wurde der Konflikt auf internationaler Ebene als illegaler Akt gewertet. Dennoch baute Marokko seine militärische Präsenz rasch aus.
Widerstandskampf der Polisario und Ausscheiden Mauretaniens
Die Polisario führte in der Folge einen Guerillakrieg gegen beide Besatzungsmächte. Mit Angriffen auf Minenanlagen, Städte und die Verkehrsinfrastruktur versuchte sie, die ausländischen Truppen zu vertreiben. Durch die Unterstützung Algeriens, Kubas und weiterer sozialistischer Staaten gelangte die Polisario an Waffen und Ausbildung. Sie konzentrierte sich auf gezielte Überfälle und mobile Kriegsführung. Unterdessen wurde die marokkanische Armee mit US-amerikanischer und französischer Unterstützung gestärkt.
Insbesondere die Gebiete, die Mauretanien zugeschlagen worden waren, wie der Großteil von Río de Oro, bedeuten aufgrund ihrer Weitläufigkeit und der geringen militärischen Kapazität der Besatzer eine untragbare Belastung für Mauretanien. Die militärische Überdehnung und die anhaltenden Guerilla-Aktivitäten machten die Aufrechterhaltung der Besatzung schnell untragbar.
Gegenüber Marokko war Mauretanien sowohl militärisch als auch wirtschaftlich deutlich schwächer. Ständige Überfälle und wirtschaftliche Sabotage erschütterten die mauretanische Regierung, die 1979 nach mehreren Militärputschen schließlich kapitulierte und alle Ansprüche auf die Westsahara aufgab.
Mauretanien schloss einen Friedensvertrag mit der Polisario und zog seine Truppen vollständig aus der Westsahara ab. Marokko reagierte auf diesen Rückzug jedoch nicht mit einer Reduzierung der Spannungen, sondern mit der sofortigen Annexion des gesamten südlichen, ehemals mauretanischen Teils des Territoriums. Damit dehnte Marokko seinen Anspruch auf die gesamte Westsahara aus und wurde zum alleinigen Okkupanten.
Die Kampfhandlungen und Überfälle der Polisario richteten sich fortan ausschließlich gegen marokkanische Einheiten und Stellungen.
Die UN-Generalversammlung bekräftigte in ihren Resolutionen von 1979 und 1980 das „unverzichtbare Recht der Bevölkerung der Westsahara auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit“ und erkannte die Polisario als ihren legitimen Vertreter an.
Der Krieg zwischen der Polisario und Marokko (1979–1991)
Die Kriegsführung der Polisario nahm nach dem Ausscheiden Mauretaniens an Intensität zu. Mit Stoßtrupps, Sabotage und Angriffen auf Versorgungswege sollten die marokkanischen Truppen gebunden werden. Besonders um die strategisch wichtige Phosphatmine Bou Craa und die Städte El Aaiún und Smara entbrannten wiederholt Kämpfe.
Als Reaktion auf die militärische Überlegenheit der Guerillataktik der Polisario begann Marokko 1981 mit dem Bau des sogenannten marokkanischen Verteidigungswalls (Berm). Dieses massive, über 2.700 Kilometer lange, befestigte und stark verminte Sandsystem wurde in sechs Hauptphasen errichtet. Nach jedem Gebietsgewinn wurde der Wall ausgebaut und erstreckt sich bis heute über etwa 2.500 Kilometer. Der Berm diente primär dazu, die ökonomisch und demografisch wertvollen Gebiete – insbesondere die Phosphatvorkommen und die Fischereiküste – in den marokkanisch kontrollierten Westteil einzuschließen.

Dadurch wurde der größte Teil der Bevölkerung und der Ressourcen effektiv abgeschirmt. Der Berm schuf eine militärisch gesicherte Grenze, die die Polisario auf den unproduktiven östlichen Wüstenteil, die „Freie Zone“, beschränkte und die Front statisch machte.
Der Konflikt führte zu enormen Flüchtlingsströmen: Bis zu 180.000 Saharauis flohen nach Algerien, wo sie in von der EU und den Vereinten Nationen unterstützten Flüchtlingslagern bei Tindouf lebten. Die diplomatische und militärische Pattsituation verschärfte die humanitäre Lage und belastete insbesondere die Beziehungen zwischen Marokko und Algerien.

Diplomatisches und militärisches Patt
In den 1980er-Jahren erlebte der Konflikt mehrere diplomatische Wendungen. Im Jahr 1984 wurde die DARS Mitglied der Afrikanischen Union. Daraufhin verließ Marokko die Organisation für drei Jahrzehnte. Die Unterstützung Algeriens für die Polisario schwankte mit der Ölpreisentwicklung. Dagegen konsolidierte Marokko seine militärische Infrastruktur.
Die Errichtung des Berms war zwar ein immenses militärisches und wirtschaftliches Unterfangen, erwies sich jedoch bald als strategisches Werkzeug zur Sicherung der territorialen Kontrolle. Erst nachdem die militärische Kontrolle gesichert und die militärische Stoßkraft der Polisario neutralisiert war, signalisierte Marokko Verhandlungsbereitschaft für einen Waffenstillstand.
Die beiden Parteien befanden sich in einer militärischen Pattsituation. Die Polisario konnte den Berm nicht durchbrechen, zugleich war Marokko nicht in der Lage, den Aufstand vollständig zu beenden. Dieses Patt bereitete den Weg für einen UN-vermittelten Waffenstillstand auf Grundlage der bestehenden militärischen Trennung.
Die Geburt der MINURSO
Im Jahr 1988 erklärte sich Marokko in Folge internationaler Vermittlung durch die UN zu direkten Gesprächen mit der Polisario bereit. Ein erster Waffenstillstand wurde 1988 proklamiert, doch die Gespräche scheiterten Anfang 1989. Im Sommer 1991 intensivierten sich erneut die Kämpfe, nachdem die Polisario neue Stützpunkte vor dem Wall errichtet hatte.
Nach schweren marokkanischen Offensiven war die Bereitschaft zu einem internationalen Friedensprozess gestiegen. Die Vereinten Nationen entsandten die MINURSO-Mission und überwachen seit September 1991 den Waffenstillstand sowie die Pufferzone zwischen den Konfliktparteien. Seitdem gab es nur noch wenige größere Gefechte, jedoch verhinderte der politische und diplomatische Stillstand eine dauerhafte Lösung.

Zur Umsetzung dieses Plans wurde die Mission der Vereinten Nationen für das Referendum in Westsahara (MINURSO) ins Leben gerufen. Ihr ursprüngliches Mandat umfasste die Überwachung des Waffenstillstands sowie die Identifizierung und Registrierung der wahlberechtigten Personen für das Referendum. Der Sonderbeauftragte des Generalsekretärs übernahm die alleinige und exklusive Verantwortung für alle Fragen im Zusammenhang mit dem Referendum.
Obwohl die Mission formal auf das Referendum ausgerichtet war, nutzte Marokko die komplexe Frage der Wählerregistrierung, um den Prozess gezielt zu verzögern und letztlich zu blockieren, da ein Ergebnis zugunsten der Polisario befürchtet wurde.
Das zentrale Element dieses Plans war die Durchführung eines Referendums über die Selbstbestimmung, das den Sahrauis die Wahl zwischen der Integration in Marokko und der vollständigen Unabhängigkeit bieten sollte. Marokkos Zustimmung zu diesem Referendum war notwendig, um den teuren Guerillakrieg zu beenden und internationale Legitimation zu erlangen.
Stagnation und Blockade: Die Jahre 1991 bis 2019
Doch trotz der UN-Pläne fand das Referendum nie statt. Der Prozess scheiterte primär an der fehlenden Einigung über die Kriterien für die Wählbarkeit und die Erstellung endgültiger Wählerlisten.
Der Waffenstillstand und die Präsenz der MINURSO wurden vom UN-Sicherheitsrat mehrfach verlängert und angepasst. Etwa 50 Staaten erkannten die Demokratische Arabische Republik Sahara in dieser Zeit an. Doch rund 30 Länder zogen ihre Anerkennung wieder zurück oder suspendierten sie.
Das zentrale Problem war und ist das ausstehende Referendum. Auch die Streitfrage, wer als „Einheimischer“ wahlberechtigt ist, blockiert den Prozess dauerhaft. Marokko fordert, dass auch Saharauis, die früher in Südmarokko lebten, teilnahmeberechtigt sein sollen, während die Polisario auf die Bevölkerung der Westsahara in den Kolonialgrenzen besteht.

Im Jahr 2001 vollzog Marokko eine Kehrtwende und lehnte die Durchführung des Referendums ab. Dies bedeutete im Grunde das Ende des UN-Siedlungsplans und die faktische Ablehnung des Selbstbestimmungsprinzips zugunsten des marokkanischen Autonomieplans. Infolgedessen wurde MINURSO von einer Entkolonisierungsmission zu einer rein überwachenden Mission des Waffenstillstands degradiert.
Mehrere Annäherungsversuche, darunter der UN-Vermittlungsvorschlag von 1997 und die Genfer Gespräche unter Bundespräsident Horst Köhler ab 2017, endeten meist ergebnislos. Die politische Pattsituation blieb bestehen. Neben politischen Spannungen gab es sporadische Zusammenstöße in der Pufferzone, Menschenrechtsverletzungen sowie eine stagnierende wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den befreiten Zonen und in Flüchtlingslagern.
Der Europäische Gerichtshof stärkte den internationalen Einfluss auf den Konflikt, indem er 2016 die Anwendung des EU-Handelsabkommens auf Produkte aus der Westsahara für unzulässig erklärte und damit die Polisario indirekt unterstützte. Die Beziehungen Marokkos zu Deutschland und anderen EU-Staaten schwankten entsprechend den jeweiligen Positionen zu Marokkos Autonomieplan.
Die MINURSO-Blockade und das fehlende Menschenrechtsmandat
Ein wesentlicher institutioneller Makel von MINURSO ist, dass sie weltweit die einzige UN-Mission ist, die kein Mandat zur Überwachung der Menschenrechte hat. Die Zuerkennung dieses Mandats wird im UN-Sicherheitsrat routinemäßig von Mitgliedstaaten wie den USA und Frankreich blockiert, die damit die Interessen Marokkos unterstützen.
Diese geopolitische Protektion schränkt die Glaubwürdigkeit der Mission ein und ermöglicht es Marokko, ohne wirksame Kontrolle durch die UN Repressionen im besetzten Gebiet auszuüben. Zu den Verstößen gegen sahrauische Aktivisten in den marokkanisch kontrollierten Gebieten zählen Einschüchterung, Verhaftungen, Folter, Verschwindenlassen sowie der Einsatz von Schusswaffen gegen Demonstranten. Als Reaktion auf diplomatischen Druck wies Marokko im März 2016 zudem zahlreiche internationale MINURSO-Mitarbeiter aus, was die Mission stark blockierte.
Humanitäre Krise und Menschenrechtslage
Die menschenrechtliche Überwachungslücke betrifft alle Konfliktparteien. Human Rights Watch (HRW) hat Berichte über die schwierigen humanitären Bedingungen und die Einschränkungen der Rechte in den von der Polisario verwalteten Flüchtlingslagern in Tindouf, Algerien, veröffentlicht.
HRW fordert explizit die Ausweitung der Menschenrechtsüberwachung durch die UN oder einen alternativen Mechanismus auf die marokkanisch kontrollierten Gebiete, die Polisario-kontrollierten Gebiete sowie die Lager in Tindouf. Dies verdeutlicht, dass die Krise komplex ist und alle Parteien Rechenschaft über die Bedingungen der betroffenen Zivilbevölkerung ablegen müssen. Bereits 2014 wurden die von der MINURSO unterstützten vertrauensbildenden Maßnahmen ausgesetzt, die den Kontakt zwischen den getrennten Bevölkerungsgruppen erleichtern sollten.

Eskalation seit 2020 und die geopolitische Verschiebung
Im Jahr 2020 eskalierte der Konflikt erneut, als marokkanische Militärs in die von der Polisario kontrollierte Pufferzone bei Guerguerat einmarschierten und eine Blockade auflösten. Daraufhin erklärte die Polisario den Waffenstillstand für beendet und nahm den Widerstand wieder auf, unter anderem durch Artillerieangriffe. Die Vereinten Nationen bestätigten die Zunahme militärischer Aktionen, einschließlich mutmaßlicher Drohnenangriffe der marokkanischen Armee, die zivile Opfer und Menschenrechtsverletzungen nach sich zogen.
Weitere Belege für die Eskalation sind die gemeldete Konzentration marokkanischer Streitkräfte in der Nähe von Bir Anzarane sowie der Bau einer neuen Landebahn. Die Rolle der MINURSO hat sich seitdem auf die Beobachtung militärischer Entwicklungen und die Deeskalation reduziert.

Die US-Anerkennung und die Verschiebung der internationalen Haltung
Diplomatisch gewann Marokko zuletzt an Boden: Als viertes muslimisches Land erkannte es 2020 Israel an und erhielt im Gegenzug die Anerkennung der Souveränität über die Westsahara durch die USA unter Donald Trump. Im Juli 2023 folgte Israel. Während einige EU-Staaten, darunter Deutschland, die marokkanischen Ansprüche nicht anerkennen, werten andere, darunter Frankreich, den Autonomieplan Marokkos als wichtigen Beitrag zur Konfliktlösung.
Diese Anerkennung schuf einen diplomatischen Präzedenzfall unter den westlichen Mächten, stärkte Marokkos Verhandlungsposition massiv und machte die Option eines Referendums faktisch obsolet.
Historische Entscheidung 2025
Am 31. Oktober 2025 traf der UN-Sicherheitsrat eine historische Entscheidung: Die Westsahara erhielt den Status eines autonomen Teils Marokkos. Damit wurde der marokkanische Autonomieplan als diplomatischer Sieg gewertet und der jahrzehntelange Konflikt in eine neue Phase überführt. Trotz internationaler Anerkennung bleibt die Zukunft der Saharauis und der Demokratischen Arabischen Republik Sahara zwischen symbolischer Unabhängigkeit und marokkanischer Verwaltung weiterhin umkämpft.
Denn nach der Entscheidung des UN-Sicherheitsrats vom 31. Oktober 2025, Westsahara offiziell als autonome Region unter marokkanischer Souveränität zu etablieren, beginnt für das Gebiet und seine Bewohner eine neue Phase. Die Resolution sieht vor, dass die Westsahara künftig über eine eigene Legislative, Exekutive und Judikative verfügen soll, deren Vertreter von der Bevölkerung gewählt werden. Marokko bleibt für Verteidigung, Außenpolitik und religiöse Fragen zuständig, während lokale Angelegenheiten weitgehend autonom geregelt werden können.
Die praktische Umsetzung dieses Autonomieplans steht nun im Mittelpunkt politischer und gesellschaftlicher Verhandlungen. Für viele Saharauis bleibt ihr Wunsch nach einem Unabhängigkeitsreferendum vorerst unerfüllt. Die seit 1991 vage in Aussicht gestellte Volksabstimmung ist de facto durch die UN-Resolution vom Tisch. Die Führung der Polisario sowie ein großer Teil der saharauischen Diaspora und der Flüchtlinge im algerischen Exil lehnen den Autonomieplan weiterhin ab und bestehen auf ihrem Selbstbestimmungsrecht. Damit bleibt die Polarisierung zwischen Marokko und der Polisario-Front bestehen, wenn auch nun unter neuen politischen Rahmenbedingungen.

Freude in Marokko
In Marokko herrscht nach der Entscheidung ausgelassene Freude, während in Algerien, dem wichtigsten Unterstützer der Polisario, Unmut und Ablehnung vorherrschen. Die Resolution fordert dennoch alle Konfliktparteien – Marokko, Polisario, Algerien und Mauretanien – auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, um die Details und Garantien der Autonomieregelung zu klären und eine für alle tragfähige Lösung zu entwickeln. Die Vereinten Nationen verlängerten das Mandat der Friedensmission MINURSO bis 2026, um die Einhaltung und Umsetzung der neuen Regelung zu überwachen und einen friedlichen Übergangsprozess zu unterstützen.
Für die Bevölkerung in der Westsahara bleibt die Situation damit ambivalent. Während die Einrichtung autonomer Institutionen erstmals echte politische Mitbestimmung in Marokko verspricht, ist das Schicksal der Flüchtlinge, die Rechte der Saharauis sowie die Kontrolle über natürliche Ressourcen weiterhin ungeklärt und Gegenstand künftiger Verhandlungen. Auch wie groß der Anteil der Region an den Einnahmen, etwa aus dem Phosphatabbau oder der Fischerei, tatsächlich sein wird, bleibt abzuwarten und birgt Konfliktpotenzial.

Ausblick auf die Zukunft der Westsahara
Der Westsahara-Konflikt ist eine komplexe Pattsituation, in der das Selbstbestimmungsrecht der Saharaui-Bevölkerung durch geopolitische Machtinteressen und strategische Tatsachen Marokkos überlagert wird. Die völkerrechtliche Grundlage des IGH von 1975 wurde durch den Grünen Marsch umgangen und die militärische Sicherung der Kontrolle erfolgte durch den Bau des Berms.
Das Scheitern der MINURSO-Mission, die ihr Kernmandat zur Durchführung eines Referendums nicht erfüllen konnte, ist eng mit dem geopolitischen Kalkül verbunden, das Marokko eine institutionalisierte Immunität verschaffte. Doch die Ereignisse seit 2020, insbesondere der Zusammenbruch des Waffenstillstands und die diplomatische Anerkennung durch die USA, haben die Dynamik grundlegend verändert und beschleunigt.
Die internationale Haltung verschiebt sich von der Forderung nach einem Referendum hin zur stillschweigenden Akzeptanz des marokkanischen Autonomieplans als Grundlage für regionale Stabilität und Sicherheitskooperation.
Der Konflikt ist also nicht endgültig gelöst, sondern tritt mit der Autonomieregelung unter UN-Aufsicht in eine neue Phase ein: Die Menschen in der Westsahara erhalten die Chance, regionale Rechte zu gestalten, während viele politische, wirtschaftliche und soziale Streitfragen noch vor ihnen liegen.






