Der Menara-Garten
Der Blick auf den ockerfarbenen Pavillon, der sich im Wasserbecken spiegelt und vom Hohen Atlas überragt wird, zählt zu den klassischen Ansichten Marrakeschs. Der Menara-Garten ist ein Ort der Ruhe und zugleich ein Stück Stadtgeschichte. Hier erfährst du, wie diese Anlage entstand, welche Rolle sie in Marrakesch spielt und warum sie bis heute ein beliebtes Ziel für Spaziergänge ist.
Der Menara-Garten gehört zu den bekanntesten historischen Anlagen Marrakeschs. Die Anlage liegt rund drei Kilometer südwestlich der Medina und gilt als klassisches Beispiel islamischer Gartenkunst. Mit einer Fläche von über 100 Hektar ist der Jardin de la Ménara weitläufiger als viele andere Parks der Stadt. Im Gegensatz zum üppigen Jardin Majorelle steht hier nicht die Zierbepflanzung im Mittelpunkt, sondern die Geometrie, das Bewässerungssystem und die Funktion als Olivenhain.
Der Park ist öffentlich zugänglich, kostenlos und vor allem bei Marrakchis beliebt, die dort am Wochenende im Schatten der Bäume picknicken oder sich am Wasserbecken entspannen.
Inhalt
Geschichte des Menara-Gartens
Die Ursprünge des Menara-Gartens reichen bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts zurück. Er wurde während der Herrschaft der Almohaden unter Kalif ʿAbd al-Muʾmin (reg. 1147–1163) angelegt – in einer Zeit, als Marrakesch zum Zentrum eines mächtigen Reiches wurde. Die Anlage diente sowohl der landwirtschaftlichen Produktion als auch der Repräsentation: Der Kalif ließ hier Olivenbäume pflanzen und ein großes Wasserreservoir anlegen, das als Symbol seiner Kontrolle über Natur und Technik galt.
Der Entwurf stammt vom Gelehrten Hajj Ibn Yaïch aus Málaga, der sein Wissen aus Al-Andalus in die Gestaltung einfließen ließ. Das Konzept eines streng geometrisch angelegten Gartens mit einem zentralen Wasserbecken wurde später zu einem Vorbild für andere Agdal-Gärten in Marokko und Spanien.
Nach dem Niedergang der Almohaden blieb der Garten erhalten und wurde von späteren Dynastien gepflegt. Die Saadier nutzten ihn als landwirtschaftliches Areal und Erholungsort. Im 19. Jahrhundert erhielt der Menara-Garten unter Sultan Sidi Mohammed ibn Abderrahmane (1859–1873) seine heutige Gestalt mit dem charakteristischen Pavillon am Wasserbecken.
Wasserbau und Bewässerungssystem
Das Herzstück des Gartens ist das große rechteckige Wasserbecken, das etwa 195 Meter lang und 160 Meter breit ist. Es wurde um 1157 angelegt und diente ursprünglich mehreren Zwecken: Einerseits als Reservoir zur Bewässerung der Oliven- und Obstbäume, andererseits als Trainingsstätte für die Soldaten des Kalifen, die hier das Schwimmen übten, bevor sie nach Al-Andalus übersetzten.
Die Bewässerung des Gartens war eine technische Meisterleistung. Das Wasser stammt aus Quellen am Fuße des Hohen Atlas, etwa 30 Kilometer entfernt. Es wurde über ein unterirdisches Khettara-System – ein Netz von Kanälen, das Gefälle und Schwerkraft nutzt – bis zum Menara-Garten geleitet. Dieses System regulierte die Wasserversorgung der gesamten Anlage und ermöglichte eine gleichmäßige Bewässerung der Felder und Olivenhaine.
Das Becken liegt leicht erhöht, sodass das Wasser über Kanäle (Seguias) abfließen und die umliegenden Parzellen bewässern konnte. Dieses System zeugt vom hohen Stand der Ingenieurskunst der Almohadenzeit und ist ein bedeutendes Beispiel für nachhaltige Wasserwirtschaft im ariden Klima Nordafrikas.
Der Pavillon – Symbol alawidischer Architektur
Der heute sichtbare Pavillon am Ufer des Wasserbeckens ist ein Bauwerk aus dem 19. Jahrhundert. Er wurde unter der alawidischen Dynastie errichtet und diente dem Sultan als Rückzugsort und Aussichtspunkt. Das zweistöckige Gebäude, auch Menzeh genannt, wurde 1869–1870 erbaut und ist typisch für die Architektur dieser Epoche.
Das Untergeschoss beherbergte einst die Räume der Bediensteten und eine kleine Küche. Über eine schmale Treppe gelangt man in das obere Stockwerk, das als Aufenthaltsraum diente und einen offenen Balkon mit Blick über den Garten und die Berge bietet. Das grün glasierte Ziegeldach und die symmetrischen Arkaden prägen das Erscheinungsbild des Pavillons und bilden zusammen mit dem Wasserbecken eine harmonische Komposition.
Der Pavillon ist zwar nicht für Besucher zugänglich, doch das Bauwerk spiegelt sich im Wasserbecken und verleiht der Szenerie ihren ikonischen Charakter. Besonders bei klarer Sicht und tief stehender Sonne zeigt sich das Panorama von seiner eindrucksvollsten Seite.
Aufbau und Vegetation
Der Menara-Garten ist geometrisch organisiert. Die Anlage folgt einem klaren Raster, bei dem die Olivenbäume in gleichmäßigen Abständen von etwa zehn Metern gepflanzt sind. Dieses streng symmetrische Prinzip war ein Markenzeichen der Almohaden und symbolisierte Ordnung und Rationalität.
Die Vegetation besteht überwiegend aus Olivenbäumen, ergänzt durch einzelne Zypressen und Fruchtbäume. Im Gegensatz zu dekorativen Gärten wie dem Jardin Majorelle ist der Menara-Garten vor allem ein landwirtschaftlich genutzter Raum. Das Gelände wird auch heute noch zur Olivenproduktion verwendet.
Abseits des zentralen Beckens verlaufen unbefestigte Wege durch den Hain. Zwischen den Bäumen finden sich Picknickplätze, Sitzbänke und schattige Ruhepunkte. An Wochenenden nutzen viele Familien den Park für Ausflüge, während junge Leute dort lesen oder lernen. Touristen begegnet man hier seltener als in den berühmteren Sehenswürdigkeiten der Stadt, was dem Garten eine ruhige und authentische Atmosphäre verleiht.
Bedeutung und UNESCO-Welterbe
1985 wurde der Menara-Garten zusammen mit der Altstadt von Marrakesch und den Agdal-Gärten in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. Ausschlaggebend war seine historische, technische und ästhetische Bedeutung.
Die UNESCO würdigt die Anlage aus mehreren Gründen:
- Der Garten gilt als Meisterwerk menschlicher Ingenieurskunst. Das Khettara-System und das zentrale Becken sind herausragende Beispiele traditioneller Hydraulik.
- Er steht für den kulturellen Austausch zwischen Marokko und Al-Andalus und hat spätere Gartenanlagen in Spanien und Nordafrika beeinflusst.
- Der Menara-Garten ist ein klassisches Beispiel islamischer Gartenarchitektur, die Wasser, Geometrie und Vegetation zu einem Symbol von Ordnung und Harmonie verbindet.
In seiner ursprünglichen Form diente der Garten nicht nur der Erholung, sondern auch als Ort politischer Symbolik. Die Sichtachse zur Koutoubia-Moschee stellte eine ideelle Verbindung zwischen der spirituellen und der weltlichen Macht des Kalifen her. Diese Verbindung von Architektur, Natur und Machtinszenierung ist bis heute spürbar.
Besuch im Menara-Garten
Der Besuch des Menara-Gartens bietet eine willkommene Abwechslung zum hektischen Treiben der Medina. Vom Eingang führt eine breite Allee, gesäumt von Verkaufsständen und kleinen Teeverkäufern, direkt zum Becken und zum Pavillon. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich eine erhöhte Plattform, von der man einen freien Blick auf das Ensemble genießen kann.
Das Wasser im Becken wirkt trüb, doch es ist voller Karpfen, die sich gerne von den Besuchern füttern lassen. Besonders in den späten Nachmittagsstunden, wenn das Licht warm und weich ist, entfaltet der Ort seinen größten Reiz.
Anders als der Jardin Majorelle, der oft überlaufen ist, bleibt der Menara-Garten vergleichsweise ruhig. Wer ihn besucht, sollte jedoch keine botanische Vielfalt erwarten. Der Reiz liegt vielmehr in der Weite, der historischen Bedeutung und dem beeindruckenden Zusammenspiel von Pavillon, Wasser und Gebirge.
Bei klarer Sicht lassen sich die schneebedeckten Gipfel des Hohen Atlas deutlich erkennen – ein Anblick, der schon seit Jahrhunderten Maler und Fotografen inspiriert.
Fazit zum Menara-Garten
Der Menara-Garten ist weniger spektakulär als der farbenfrohe Jardin Majorelle, aber er vermittelt einen tieferen Eindruck von Marrakeschs Geschichte. Hier erlebt man die Kontinuität der Stadt von der Zeit der Almohaden bis heute.
Sein Wert liegt nicht in dekorativen Beeten, sondern in der Harmonie zwischen Technik, Geometrie und Landschaft. Der Besuch lohnt sich besonders für alle, die sich für Geschichte, Architektur oder Wasserbau interessieren – und für jene, die einfach einen ruhigen Ort außerhalb der Stadtmauern suchen.
Das berühmte Panorama mit dem Pavillon und dem Hohen Atlas ist eines der schönsten Fotomotive Marrakeschs. Um es in seiner ganzen Klarheit zu sehen, empfiehlt sich ein Besuch an einem klaren Tag am Nachmittag oder kurz vor Sonnenuntergang.
Standort, Öffnungszeiten und Eintritt
Lage
Der Menara-Garten befindet sich etwa drei Kilometer südwestlich der Medina, außerhalb der Stadtmauer. Am einfachsten erreicht man ihn über die Avenue de la Ménara. Der Haupteingang liegt an der Kreuzung mit der Avenue Bab Jedid.
Anfahrt
Zu Fuß dauert der Weg von der Koutoubia-Moschee rund 30 Minuten. Bequemer ist die Fahrt mit einem Petit Taxi, die etwa 15–20 Dirham kostet.
Öffnungszeiten
Der Menara-Garten ist täglich von 8:30 Uhr bis 18:00 Uhr geöffnet.
Eintritt
Der Eintritt in den Menara-Garten ist kostenlos.